Hintergrund - „Lewwerworscht“ gehört in der Kurpfalz zu den Grundnahrungsmitteln und wird gerade zum Politikum – Metzger Klaus Hambel erklärt ihr wahres Wesen

Was Helmut Kohls früherer Metzger aus Wachenheim über beleidigte Leberwürste weiß

Von 
Stephan Alfter
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Rückt gerade in den Mittelpunkt einer politischen Diskussion: die Lewwerworscht. © Cornelius

Rhein-Neckar. Die „Anonyme Giddarischde“ aus Frankenthal haben ihr ein eigenes Lied gewidmet. Es ist in gewisser Weise eine Liebeserklärung auf Pfälzisch: „Komm, stoß’ mol uff moin Schatz, ich riech die Lewwerworscht so gern“, fordert Sänger „Edsel“ von seiner bereits im Bett liegende Lebensgefährtin im gleichnamigen Song. Wer wissen will, wie melodiös sich das kleine Bäuerchen anhört, muss sich - wohlgemerkt an einem Montagmorgen im September - beim Wurstmarkt-Frühschoppen in Bad Dürkheim einfinden, wenn die halbe Pfalz das Lied gegen 10.30 Uhr wie aus einer Kehle schmettert. Und wem das in diesem Augenblick alles leicht ekelhaft und olfaktorisch inkorrekt erscheint, der sei damit abgelenkt, dass es die in der Region sprichwörtliche „Lewwerworscht“ in dieser Woche auf die weltpolitische Bühne geschafft hat.

Ähnlich wie der Saumagen zu Zeiten des aus Ludwigshafen stammenden Altkanzlers Helmut Kohl ist ein in der Region gerne und oft konsumiertes Nahrungsmittel zum Politikum geworden. Ja, es ging etwas deftig zu, nachdem der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz zu Wochenbeginn als beleidigte Leberwurst betitelte, weil dieser wiederum einen Besuch in Kiew mit dem Hinweis abgelehnt hatte, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zuvor in der ukrainischen Metropole zur Persona non grata erklärt worden war. Es war dem Bundeskanzler also aufgestoßen - um jetzt doch nochmal kurz auf die „Anonyme Giddarischde“ zurückzukommen. Jedenfalls forderte noch am Freitag alle Welt Melnyk dazu auf, sich zu entschuldigen. Selbst Hamburgs Altbürgermeister Klaus von Donahny (CDU), von dem viele gar nicht wussten, dass es ihn noch gibt, sagte dem „Hamburger Abendblatt“: Melnyk muss sich entschuldigen. In der Pfalz fragt man sich derweil eher, ob sich der ukrainische Diplomat mit dem einigermaßen undiplomatischen Auftritt nicht viel mehr bei der Leberwurst für seine Entgleisungen entschuldigen muss. „Gerechtigkeit für die Leberwurst“, forderte gar ein Journalist der Tageszeitung „Die Welt“ und rief angesichts der Schmähungen durch Melnyk zur Wiedergutmachung auf - Reparationsleistungen gewissermaßen wegen Verunglimpfung deutschen Kulturguts.

Klaus Hambel ist Fachmann. Der 60-Jährige hat jahrelang den verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl mit Saumagen ausgestattet. Hin und wieder ließ sich der gewichtige Pfälzer von seinem Fahrer Eckhard Seeber in der Kanzlerlimousine nach Wachenheim kutschieren, um den Saumagen höchstselbst zu erstehen. Hambel erinnert sich gerne daran. Der Metzger hat aber nicht nur ein Händchen für den Saumagen, sondern auch ein Gefühl für die Leberwurst. Er charakterisiert ihr Wesen als „geschmeidig, zart und anpassungsfähig“. Selbst die grobe Variante lässt sich mühelos auf einem Bauernbrot verteilen. Von beleidigt sein sei da keine Spur. Aber Hambel weiß natürlich auch, woher die Redensart kommt. Im Mittelalter gingen die Gelehrten davon aus, dass alle Gefühle des Menschen in der Leber produziert werden. Egal, ob Trauer, Liebe oder Wut - das Organ galt als Sitz der Lebenssäfte, von dort aus wurde der Leber alles möglich angedichtet. So beschreibt es das „Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten“ von Lutz Röhrich. Eine andere Erzählung, die freilich frei erfunden ist, gefällt Hambel besser. Die Leberwurst sei immer die letzte Wurst im Kessel gewesen. Deshalb sei sie vor Wut geplatzt.

Bei Olaf Scholz ist es bisher nachweislich nicht soweit gekommen, dass er geplatzt wäre. Während der ukrainische Botschafter weiter mit der Leberwurst kokettiert: Am Donnerstag postete er auf seinem Twitter-Kanal das Bild eines pfälzischen Metzgers aus Herxheim bei Landau. Es zeigt ihn mit einem Dutzend Leberwurst-Ringen. „Die Rheinpfalz“ hatte über den Mann berichtet, der Melnyk Leberwurst schicken möchte. Die Reaktionen auf dem Twitter-Kanal des ukrainischen Botschafters ließen nicht lange auf sich warten. Wenn er sich schon mit Leberwürsten zufriedengebe, dann brauche man ja keine Waffen mehr zu liefern, hieß es etwa. Jemand anderes zitierte Stephan Remmler: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei...“

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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