Neustadt/Mannheim. Um den Fortbestand der Demokratie als Gesellschaftsform geht es immerhin noch nicht, wenn das Frankenthaler Landgericht an diesem Freitag das Ergebnis eines in mancher Hinsicht fast skurrilen Rechtsstreits bekannt gibt. Und trotzdem zeigt die Auseinandersetzung zweier Professoren quasi im Kleinen, entlang welcher Linie der große innere Konflikt dieser Zeit - auch in Deutschland - verläuft. „Wir lassen nicht zu, dass ihr unsere Geschichte umdeutet und sie anders erzählt“, sagt - in einfachen Worten gesprochen - die eine Seite. Die andere Seite spricht - ebenso einfach ausgedrückt - von Zensur und ärgert sich, dass man hierzulande nicht mehr alles sagen dürfe. Ein neuer Protest müsse her - ein symbolischer Marsch auf das Hambacher Schloss.
Professor Max Otte - Ökonom, Investor, Demokrat - so stellt sich der Mann auf seiner Homepage vor, der 2018 das erste „Neue Hambacher Fest“ feierte und dem seither eine Reihe seiner früheren CDU-Freunde davongelaufen ist. Neue Sympathisanten hat er indessen unter Mitgliedern der AfD gewonnen. Öffentlich sichtbar wurde das beispielsweise bei der Wahl des Bundespräsidenten in diesem Jahr, als die Alternative für Deutschland Otte als ihren Kandidaten präsentierte und dieser mit 141 Stimmen deutlich gegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) unterlag. Die CDU hat Otte inzwischen aus der Partei geworfen. Der Wirtschaftsprofessor, der einst in Worms lehrte, ein erfolgreicher Buchautor ist und zwischenzeitlich Vorsitzender der informellen Werte-Union war, sagte in seiner Eröffnungsrede auf dem Hambacher Schloss 2018, „dass ein solches Fest aufgrund der repressiven und zensurähnlichen Zustände im Land dringlicher ist denn je“. Im Gespräch mit dieser Redaktion fügt er diese Woche hinzu: „Seit 2018 haben sich die Zustände erheblich verschlimmert.“
Professor Wilhelm Kreutz würde ihm da nicht beipflichten. Der in Mannheim lebende Historiker, der aus Ludwigshafen stammt, ist Vorsitzender der Hambach-Gesellschaft für historische Forschung und politische Bildung, eines höchstens 100-köpfigen, inzwischen überalterten Vereins, der in seinen Jahrbüchern regelmäßig wissenschaftliche Texte sowie Meinungs- und Diskussionsbeiträge zu Deutung, Wirkung und Konsequenzen des Hambacher Festes von 1832 veröffentlicht - in der verschwindend geringen Auflage von etwa 300 Exemplaren. Eine Bedeutung hat die Hambach-Gesellschaft dennoch, denn in ihren Reihen und unter den namhaften Autoren befinden sich einige Köpfe, die die neuere Geschichte der Deutschen an maßgeblicher Stelle beschrieben und gelehrt haben.
Zustände wie vor 1832?
Nicht nur die Hambach-Gesellschaft befürchtete, dass mit Ottes neuem Fest, das auch 2019 und 2020 von ihm in Neustadt initiiert wurde, ausgerechnet an der Wiege der deutschen Demokratie ein rechtes Bündnis geschmiedet werden soll.
Immerhin spricht Otte auf seiner Homepage davon, dass das Neue Hambacher Fest wie das historische Vorbild eine Protestveranstaltung gegen die Obrigkeit, ein Fest der Freiheit, ein Fest der Bürgerlichkeit und ein „Nationalfest der Deutschen“ sein solle. Damit unterstellt er indirekt, dass in Deutschland heute dieselben Verhältnisse herrschten wie vor 1832. Das wird von Beobachtern als Zündelei am rechten Rand wahrgenommen. Dass Otte den Mannheimer Sänger Xavier Naidoo auf seinem Twitter-Kanal gegen vermeintliche Diffamierungen verteidigte, wurde ebenfalls in diese Richtung interpretiert - wie auch seine Kritik an Angela Merkel, die er als Apparatschik bezeichnete. Nicht zuletzt seine von der AfD inszenierte Kandidatur als Bundespräsident machte ihn verdächtig.
Der zurückgetretene rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz sagte schon im Jahr 2020 in seiner Funktion als Stiftungsvorsitzender: „Als Stiftung Hambacher Schloss empfänden wir es als anmaßend und irreführend, wenn unter dem Titel ‚Neues Hambacher Fest‘ weiter rechtspopulistische Veranstaltungen durchgeführt würden.“
Max Otte ist nicht Teil der Hambach-Gesellschaft von Wilhelm Kreutz - wäre es aber gerne geworden. Wie Otte wollten zwei weitere Verfechter des Gedankens, ein neues Hambacher Fest sei dringend notwendig, in die Hambach-Gesellschaft eintreten. Das lehnte der Verein ab und gewann auch gegen die Klage vor dem Amtsgericht Neustadt. Otte selbst zog seine Klage - anders als seine beiden „Mitstreiter“ - zurück. „Das Vereinsrecht sieht vor, dass man nicht jeden aufnehmen muss“, erklärt Kreutz gegenüber dieser Redaktion den Vorgang aus dem Jahr 2020. Die Hambach-Gesellschaft fürchtete, dass Otte den Verein mit anderen sukzessive unterwandern wolle, um damit eine Deutungshoheit zu erlangen.
Angebot an Max Otte
Aber: Es gab abseits der juristischen Auseinandersetzung eine Abmachung. Kreutz hatte Otte angeboten, für das Jahrbuch einen Beitrag zu verfassen und sich so am Diskurs über das Hambacher Fest zu beteiligen. Otte ging auf das Angebot ein. Gleichzeitig merkt Kreutz heute an: „Es gab keinen Zusammenhang zwischen dem Angebot und Ottes Klagerücknahme.“ Trotzdem musste sich dieses Mal das Landgericht Frankenthal mit der Sache beschäftigen. Die Hambach-Gesellschaft hat Ottes Beitrag nämlich nicht veröffentlicht, obwohl er ihn geschrieben hat. Sie sendete ihn vielmehr mit der Bitte um Korrekturen zurück. Otte habe sich dann nicht mehr gemeldet. „Der Beitrag entsprach nicht den wissenschaftlichen und redaktionellen Vorgaben für die Veröffentlichung“, heißt es in einem Anwaltsschreiben ans Gericht, das der Redaktion vorliegt. Otte wertete das als Zensur und warf Kreutz später Wortbruch vor. Dagegen ging Kreutz mit dem Verein vor. „Als Wissenschaftler sollte Otte der Unterschied zwischen einer Zensur und einer Überprüfung auf Publikationsreife für eine wissenschaftliche Fachzeitschrift geläufig sein.“
Die Gerichtsentscheidung soll also die Frage klären, ob Otte seinen Kontrahenten weiter öffentlich des Wortbruchs bezichtigen darf und festlegen, ob der Beitrag des Wirtschaftsprofessors noch gedruckt werden muss. Ob Otte seine Bestrebungen in Neustadt weiter verfolgt, ist unklar. Ein dortiger Unternehmer organisierte dieses Jahr im Mai eine Demo, an der auch Rechtsextreme teilnahmen. Diese Demo störte dann bewusst das Demokratiefest auf dem Schloss zum 190. Jubiläum des Hambacher Festes.
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