Klimabewegung - Heidelbergerin Carla Rochel und Mannheimer Raúl Semmler sind Teil der umstrittenen Initiative „Die letzte Generation“

Warum eine Heidelbergerin und ein Mannheimer für "Die letzte Generation" Straßen blockieren

Von 
Sebastian Koch
Lesedauer: 
„Die letzte Generation“ macht mit umstrittenen Aktionen – hier am Berliner Hauptbahnhof – auf sich aufmerksam. © Gil Bartz

Mannheim/Heidelberg/Berlin. Sie scharen keine 1,4 Millionen Menschen um sich wie die Fridays-for-Future-Bewegung, doch ihre Aktionen sorgen auch mit einer nur zweistelligen Teilnehmerzahl für Aufsehen: Carla Rochel und Raúl Semmler gehören der Initiative „Der Aufstand der letzten Generation“ an. Sie wirken entschlossen. Ja, fast ist man geneigt zu sagen, sie wirken zu allem bereit. „Wenn wir ins Gefängnis müssen, um etwas zu bewegen, wenn uns die Regierung zwingt, unsere Freiheit zu opfern, um Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, dann ist das Gefängnis der Ort, an dem wir sein sollen“, erklärt Rochel. „Wir nutzen den zivilen Ungehorsam, um ein Signal zu setzen: So können wir nicht weitermachen.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

Seit vier Wochen sind die Heidelberger Studentin und der in Mannheim lebende Schauspieler in Berlin, wo sie für den Klima- und Umweltschutz auf die Straße gehen. „Wir haben uns aller Mittel bedient, die es gibt“, erklärt Rochel, die von Petitionen, Demonstrationen oder Gesprächen mit Abgeordneten spricht. Genutzt habe all das nichts. „Die Bundesregierung redet und redet und redet, handelt aber nicht.“ Deshalb bliebe nur der zivile Ungehorsam: Der Hauptstadtverkehr wird durch Blockaden lahmgelegt, vergangene Woche wurde auch der Warenverkehr im Hamburger Hafen massiv gestört. „Wir haben noch lange nicht alle Karten ausgespielt“, kündigt Semmler an.

Blockaden in der Region möglich

„Auch in Heidelberg und Mannheim sind Menschen, die die Initiative verfolgen und sich im Hintergrund miteinbringen“, sagt Rochel. „Ich gehe stark davon aus, dass wir auch in der Region mal Blockaden erleben können.“ So sei es etwa in Heidelberg bereits zu Aktionen gekommen, als Aktivisten im Januar weggeworfene Lebensmittel verbotenerweise aus Supermarkt-Containern verteilt haben. „An weiteren Aktionen wird gearbeitet“, verrät Semmler.

Die Mehrheit der Bevölkerung wolle Klimaschutz. „Wir wollen die Regierung dazu bewegen, den demokratischen Willen umzusetzen“, sagt Rochel und fordert für die Ausarbeitung von Gesetzen von Wahlen unabhängige Bürgerräte als Ergänzung zum Parlament.

Auch in Hamburg war die Initiative auf Straßen und im Hafen aktiv. © Die letzte Generation

Rochel, Semmler sowie ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter wollen eine Agrarwende bis 2030 erreichen und ein „Essen-Retten-Gesetz“, eine „einfache Maßnahme und ein sehr kleiner Schritt zu einer Klimaschutzpolitik, die ihren Namen verdient“, erklärt die Studentin. Man könne nicht darauf warten, dass sich die Politik irgendwann zu leichten Maßnahmen durchringe. „Ich habe Angst, dass ich keine Kinder haben möchte, weil ich sehe, in was für eine Welt wir geraten.“

Semmler, 37 Jahre, ist fast doppelt so alt wie die 20-jährige Rochel. Wer von beiden gehört nun zur „letzten Generation“, die die Klimakrise in den Griff bekommen kann? „Alle, die gerade leben, sind die letzte Generation, die den Kollaps noch aufhalten kann“, sagt Semmler. „Viele werden die Auswirkungen als erstes zu spüren bekommen, wenn wir das nicht schaffen.“ Hungertote, Wasserknappheit oder Wetterkapriolen würden „in 20 bis 30 Jahren“ Folgen der momentanen Klimapolitik sein. Es werde in Europa zu Kriegen um Ressourcen kommen - „Menschen haben sich auf Parkplätzen schon um Toilettenpapier geprügelt, da können wir uns nur entfernt vorstellen, was los ist, wenn Regale wirklich leer sind“, sagt Rochel.

„Wir brechen deshalb bewusst Gesetze, um gewaltfrei und friedlich größtmögliche Störungen zu verursachen, um Einfluss auf die Regierung zu nehmen“, erläutert sie. „Wir sind friedlich, gefährden niemanden und möchten nicht, dass Menschen zu Schaden kommen.“ Viele, die im Stau stehen, würden mit Verständnis reagieren, wenn sie die Gründe für die Blockaden erfahren. „Das sind Momente, in denen wir merken, dass ein Umdenken passiert“, erklärt Semmler. „Wir können auch den Ärger der Leute, die im Stau stehen, verstehen - aber wenn die Regierung ihren Job nicht macht, ist es gerade nicht anders möglich.“

Die Initiative „Der Aufstand der letzten Generation“

  • Carla Rochel ist gerade 20 Jahre alt geworden und studiert seit zwei Jahren in Heidelberg Politikwissenschaft und Psychologie.
  • Raúl Semmler lebt mit seiner Frau zusammen in Mannheim und arbeitet als Drehbuchautor, Sprecher und Schauspieler.
  • Die Initiative „Der Aufstand der letzten Generation“ setzt sich unter anderem für ein „Essen-Retten-Gesetz“ ein. Damit soll es Supermärkten verboten werden, noch genießbare Nahrungsmittel wegzuwerfen. Ein ähnliches Gesetz gibt es bereits in Frankreich.
  • Die Initiative tritt seit Monaten regelmäßig mit Protesten in die Öffentlichkeit. Zuletzt blockierten sie etwa Zufahrtsstraßen zu Flughäfen in Berlin, Frankfurt und München.

Kritik von Polizei und Leitstelle

Was passiert, wenn durch blockierte Straßen Notfall- und Rettungseinsätze fahren müssen? „Wir hatten in Berlin einmal eine solche Situation“, erinnert sich Rochel. Die Aktivisten würden „immer eine Rettungsgasse bilden“, wenn sie sehen, dass ein Rettungswagen komme. Man habe „mehrmals bei Feuerwehr und Polizei nachgefragt“, ob es bei Einsätzen zu Verzögerung gekommen sei. „Die haben das verneint.“ Es habe keine Fälle gegeben, bei denen Krankenwagen nicht durchgekommen seien oder es zu „ungewöhnlichen Verlängerungen“ kam. Auch bei normalen Demonstrationen käme es zu Staus.

Die Berliner Polizei sieht das anders. „Die Aussage, Aktivistinnen und Aktivisten würden eine Rettungsgasse frei halten, kann in Bezug auf das Gesamtgeschehen nicht nachvollzogen werden, da es Ziel ist, in kurzer Zeit den größtmöglichen Stau zu verursachen“, heißt es auf Anfrage. In einem Fall, so schildert es die Polizei, hätten Beamte eine Frau, „die sich in fortgeschrittenen Wehen in ihrem Fahrzeug im durch Blockaden verursachten Stau befand“, zum Krankenhaus bringen müssen. Jede Behinderung, „auch Aktivitäten wie Straßenblockaden“, würde Eintreffzeiten der Rettung verlängern, erklärt die Leitstelle.

Kein Zweifel am Rechtsstaat

Indes betonen Semmler und Rochel immer wieder, man wolle auf keinen Fall den Rechtsstaat aushebeln. „Wir kündigen an, dass wir Gesetze brechen, und wir tun niemandem weh“, sagt Semmler. „Wir sind nicht gegen den Staat. Wir akzeptieren Urteile und sagen, dass der Rechtsstaat uns verurteilen soll, wenn ihm das wichtig ist.“ Rochler ergänzt: „Wir übertreten bewusst Gesetze, aber wir lehnen nicht den Rechtsstaat ab.“

Ihre Radikalität ist umstritten, nicht zuletzt deshalb ist der Initiative Aufmerksamkeit sicher. Neben zahlreichen bundesweiten Medien und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann („schwere Rechtsverletzungen“, die man nicht rechtfertigen könne) äußerte sich zuletzt auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zu den Aktionen: „Ganz wenige“ würden „mit Lärm dazu beitragen, Mehrheiten für den Klimaschutz zu gefährden“. Äußerungen, die - wenig verwunderlich - bei Semmler und Rochel auf Unverständnis stoßen. „Die Grünen sind aus der Anti-Atomkraft-Bewegung hervorgegangen, die darauf beruht hat, dass sich Menschen an Schienen gekettet, auf Straßen gesetzt und Gesetze gebrochen haben“, erklärt Rochel. Özdemir habe gesagt, er wolle Dinge umsetzen und könne mit den Aktionen nichts anfangen. „Ich frage mich dann: Warum setzt er nichts um und wann handelt er? Das ist ja genau das, was wir wollen.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen