Rhein-Neckar. Sonst sind seine Auftritte ein Renner und stets dicht umringt. Aber diesmal hat er keine Chance. Mechanikus Siegmann, wie sich der Gaukler nennt, packt alles ein, sagt seinen Mannheimer Auftritt ab und zieht weiter. Keiner will seine Kunststücke mit einem maskierten Affen sehen. Dafür gibt es am 18. September 1825 eine andere Attraktion, die viel Aufsehen erregt und Massen von Zuschauern anzieht. Vor 200 Jahre fährt nämlich erstmals ein Dampfschiff, ohne Segel und ohne Zugtiere, auf dem Oberrhein an Worms, Petersau, Mannheim und Speyer vorbei bis Straßburg.
„Ganz Mannheim war auf den Beinen und hatte diesen ganzen Sonntag über nur Sinn für das neue, ungewohnte Schauspiel“, schreibt Mannheims damaliger Stadthistoriker Friedrich Walter im Jahr 1900. Der Gaukler, der seinen Affen an einem Ballon in die Luft aufsteigen und mit einem Fallschirm herablassen will, sagt laut Anzeige in der Zeitung „wegen eingetretenem Hindernis des angekommenen Dampfschiffs“ ab. Dafür loben die Blätter der Region das Ereignis als „imposant“ und „wunderbar“. Sie nennen das Schiff „eines der anmuthigsten Kinder des 19. Jahrhunderts“, das „gleich Delphinen die Wellen durchschreitet“.
Ein so großes Schiff auf dem Oberrhein - das ist nämlich bis dahin nicht möglich gewesen. Von Rotterdam bis Köln stellt das kein Problem dar, da gibt es die erste Tour bereits seit 1816, ab 1817 bis Koblenz. Ein Fahrt weiter südlich wird indes wegen der Engstellen zwischen St. Goar und Bingen und der dort starken Strömung nicht möglich sein, heißt es lange. Allerdings will es die Nederlandsche Stoomboot Maarschappij, die niederländische Dampfschiffahrtsgesellschaft, genau wissen. Der Technische Direktor Gerhard Moritz Roentgen, aus der Familie der berühmten Möbelhersteller stammend, ordnet daher Versuchsfahrten an.
Am „Binger Loch“ droht die Fahrt zu scheitern
1824 hat er aber keinen Erfolg. Das Dampfboot „De Zeeuw“ (Der Seeländer) mit prominenten Passagieren wie dem Stuttgarter Verleger von Cotta an Bord scheitert, von Köln kommend, zwischen Kaub und Bacharach, weil seine Maschine dort nicht gegen die Strömung ankommt. Aber ein knappes Jahr später startet Roentgen einen neuen Versuch mit einem Schiff, das seinerzeit noch im Bau ist und das nach den Erfahrungen der ersten, missglückten Fahrt nochmal angepasst wird. Sein Name ist „De Rijn“ (Der Rhein), etwa 35 Meter lang, 4,5 Meter breit und mit geringem Tiefgang von 0,87 Metern, ausgestattet mit einem Schlot und einem Mast.
Ausstellung
- Der Verein für Heimatgeschichte Nordheim zeigt im Burg-Stein-Museum in Biblis-Nordheim , im Alten Rathaus, Rathausstr. 1, eine Sonderausstellung „200 Jahre Dampfschifffahrt auf dem Oberrhein“ mit Rheinschiffsmodellen und Bilddokumenten.
- Erstmals wird das minutiös geführte Tagebuch der Stromuntersuchungsreise von Köln bis Kehl im September 1825 gezeigt.
- Eröffnung Samstag, 27. September, 18 bis 20 Uhr, und Sonntag, 28. September, 10 bis 16 Uhr im Alten Rathaus. Geöffnet jeden 1. und 3. Sonntag im Monat, ausgenommen während der Schulferien.
Zunächst fährt sie, mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm samt Militärkapelle an Bord, am 14. September von Koblenz nach Köln. Die offizielle Erprobungsfahrt, Stromuntersuchungsreise genannt, startet am 15. September 1825 gegen 10 Uhr in Köln, erreicht am Tag darauf Koblenz und bewältigt am 17. September den heiklen Stromabschnitt bei Kaub. Doch in der Stromenge „Binger Loch“, unterhalb der Ruine Ehrenfeld, droht auch diese Fahrt zu scheitern. Roentgen greift daraufhin zu einem Trick. Um gegen die Macht der Stromschnellen anzukommen, verstärken – wie bisher bei der Treidelschifffahrt üblich - 20 Schiffszieher mit Muskelkraft die Maschinen und ziehen die „De Rijn“ von Land aus bis kurz vor die Nahemündung. Dann klappt alles, und noch am gleichen Abend wird, am 18. September abends gegen 18 Uhr, Mannheim erreicht.
Sie geht bei der Rheinschanze (heute Ludwigshafen) vor Anker, wird feierlich empfangen - und legt, weil laut Journal „eine zahlreiche Gesellschaft“ an Bord geht, gleich wieder ab und erst bei Dunkelheit wieder an. „Das Dampfschiff läuft vortrefflich“, heißt es in der Mannheimer Zeitung.
Speyer begrüßt mit Böllerschüssen und Musik
Am nächsten Tag wird – von Böllerschüssen und Musik einer bayerischen Regimentskapelle begrüßt – Speyer passiert, abends Karlsruhe erreicht. Das Journal, das von der Fahrt erhalten geblieben ist, schildert heftigen Gegenwind, starken Strömung und Schwierigkeiten durch die zahlreichen Flussarme – der Rhein ist hier noch nicht begradigt. Am 21. September 1825 gelingt es aber, abends in Kehl anzulegen. Damit hat „De Rijn“ sein Ziel erreicht, dass erstmals ein Dampfschiff den Oberrhein passiert – und mit 74 Stunden dreimal schneller als Treidelschiffe. Und Roentgen ist so ehrgeizig, dass er auf der Rückfahrt am „Binger Loch“ wenden lässt, um diese gefährliche Engstelle aus eigener Kraft ohne Schiffszieher und mit erhöhter Drehzahl der Dampfmaschine zu schaffen – und das gelingt auch.
Die „Neue Speyerer Zeitung“ bejubelt daher die Fahrt als „ein sehr güstiges Ereigniß für die Beförderung des Handels und der Rheinschiffahrt“. Die Mannheimer Zeitung schreibt von einem „Ereigniß von der glücklichen Vorbedeutung für das Unternehmen, unsern herrlichen Rhein durch eine vervollkomnete und den Elementen Trotz bietende Schiffahrt zu beleben“. Das passiert auch. Der Großherzog, der am 19. September 1825 die bei Karlsruhe liegende „De Rjin“ besichtigt, genehmigt bereits drei Tage später die Gründung der Badischen Rhein-Dampfschiffahrtsgesellschaft. Es ist die erste Konzession eines Rheinanliegerstaates für eine Dampfschiffahrtsgesellschaft.
Es dauert aber noch bis 1827, bis wirklich regelmäßig Dampfschiffe auf dem Rhein Mannheim ansteuern. Die „Concordia“ fährt ab 1. Mai alle gerade Tage nach Mainz, legt an allen ungeraden Tagen von Mainz kommend an. Damit beginnt der Aufschwung des Mannheimer Hafens, und für die Dampfschiffreisenden wird sogar eigens ein Hotel gebaut, das Hotel de Europe.
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