Schwetzingen. Da, ganz plötzlich, und das ist spätestens in der Pause, will er wieder hervorkriechen, dieser bösartige, zerstörerische und alles in Frage stellende Satz, dieser Satz, der so ungerecht ist wie gerecht, so achtlos wie respektvoll, so leichtsinnig wie belastbar, so kritisch wie konstruktiv, so falsch wie wahr, in jedem Fall aber ehrlich. Der Satz lautet: Es gibt keine zu Unrecht vergessenen Werke. Berufliche Theatergänger kennen und fürchten ihn. Und die Tragik ist auch jetzt, beim Winter in Schwetzingen, mit der Premiere von „Adonis“ wieder klar. Wahrscheinlich wird auch dieses Werk des Barockkomponisten Johann Sigismund Kusser sich in die ewige Reihe unzähliger zeitgenössischer und alter Werke eingliedern, die in unserem Jahrhundert ein Shootingstar-Dasein führen: Sie glühen kurz auf - und verglimmen.
Aber das muss so sein und geht nicht anders. Auch zu Mozarts Zeiten gab es zigtausende Opern an allen möglichen europäischen Höfen. Und was ist übrig? Mozart! Und von seinen gut 20 Opern schafft es auch nur eine Hand voll regelmäßig auf die Spielpläne. Sie rotieren dort wie die Hits auf SWR1, 3 und 4. In Endlosschleife.
Aber eines gleich vorweg: An der musikalischen Umsetzung im Graben des Schwetzinger Schlosstheaters liegt es hier nicht. Jörg Halubek holt aus dem Orchester des Theater Heidelberg mit geballter Continuo-Fraktion aus Laute, Harfe, Celli und zwei Cembali alles raus, was in der Partitur steckt. Gleich die mit ihren punktierten Achteln aufspritzende B-Dur-Ouvertüre mit den vielen Trillern verspricht einen spannenden Abend zwischen jugendlicher Verve und reifer Einfühlsamkeit. Und auch viele Übergänge, Zwischenspiele und Arien sind wirklich schön und stilistisch gelungen. Punkt. Man erlebt vergnügliche, schöne und, ja, auch beseelte Momente in „Adonis“.
Diese Götter in „Adonis“ sind - mal wieder - auch nur Menschen
Der große dramaturgische Bogen aber er fehlt. Das liegt zum einen schon an der, genau betrachtet, doch sehr abstrusen Handlung mit den mythologischen Göttern, die lieben und Liebe verweigern. Diese Götter sind, mal wieder, auch nur Menschen. Für den Regisseur, Guillermo Amaya, ist dieses Setting nicht leicht. Er geht zunächst ganz cool ran, lässt die sieben Singenden mit Partitur auf die Bühne schlendern. Als Menschen wie du und ich. Alles nur Spiel. Erinnerungen keimen auf. Brechts episches Theater. Sandra Leupolds Heidelberger „Don Giovanni“. Vieles, was heute State of the art ist. Maximale Bühnennüchternheit. Mal sehen. Der Auftritt der Venus ist dann auch minimal pompös. Im Sommer könnte die Dame im blauen Trägerkleid auch im Auditorium sitzen. Und gesanglich lässt Theresa Immerz in ihrer Suite aus Arien wie „Stumme Bäume“ und Rezitativ auch gleich die Wendigkeit ihres Soprans aufblitzen. Fein, fast etwas soubrettenhaft spitz ist ihr Timbre, für diese Art Musik am Ende dann doch etwas zu flatternd.
Und was macht das Team um Regisseur Amaya? Es werden, barocktypisch, prachtvolle Prospekte vom Schnürboden runter- und raufgefahren, grüne Monobloc-Stühle rein- und rausgebracht, ein Spind rein- und rausgetragen. Und so weiter. Vor der Kulisse barocker Prospektanmutung schaffen Amaya und Stefan Rieckhoff (Bühne und Kostüme) bewusste Ernüchterung. Studententheater. Das ist okay, nervt aber auf Dauer, zumal hier nichts wirklich zum Nachdenken anregt und Dramatik fehlt.
Kein Grund zur Verzweiflung für die Archäologen und ihre Ausgrabung
Und sängerisch ist eigentlich auch nur Jonas Müllers Adonis auf der Höhe barocker Interpretation. Mit schlichter Stimmführung und geradem Ton singt er etwa die melancholische d-Moll-Arie „Wer nicht eine Schönheit ehret“, lässt in Koloraturen seiner Beweglichkeit freien Lauf und besticht durch das farblich gut gemischte Timbre seiner Tongebung. Lediglich João Terleira gelingt noch Ähnliches. Aber: zu heroisch. Rémy Brès-Feuillet (Apollo) sollte sich überlegen, ob er nicht ins Sopranfach wechselt. Nur in der Höhe überzeugt der stilistisch geschulte Countertenor. Sreten Manojlovics Vulcanus offenbart mit viel Kraft und Dramatik immerhin, dass es auch vor Wagners „Siegfried“ schon Schmiedelieder gab (er schmiedet Amor Pfeile auf einem Einkaufswagen, den er lautstark mit einem Hammer bearbeitet). Indre Pelakauskaite (Daphne) nähert sich genau so wie Zuzana Petrasová (Pallas) nur fast an die barocke Singart an. Das ist leider zu wenig.
Gerade an diesem geschichtsträchtigen Opern-Ausgrabungsort sei da an die Schwetzinger Festspiele erinnert: Die Werke weit bekannterer Komponisten, von Legrenzi und Steffani über Holzbauer und Hasse bis zu Salieri, haben es nicht ins Repertoire geschafft. Es gibt also auch für die Archäologen von Kussers „Adonis“ keinen Grund zur Verzweiflung - zumal das Publikum doch ganz gut klatscht.
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