Heidelberg. Sie hängt dort oben, im viereckigen Torturm. Die Touristen laufen schnell unter ihr hindurch, haben – wenn überhaupt – meist nur einen flüchtigen Blick für sie übrig. Hinter den Zifferblättern schlummern die Fledermäuse, denen die Temperaturen nachts noch zu frostig sind. Und stetig dreht sie sich weiter, immer weiter.
Die Turmuhr am Heidelberger Schloss ist ein kleines Mysterium für sich. Das Runde im Eckigen, mit ihrem grün-gräulichen Zifferblatt und den goldenen Zeigern, an denen kleine Sonnen prangen. Doch so richtig viel wissen die Historiker und Historikerinnen nicht über sie.
Heute sichtbare Turmuhr am Heidelberger Schloss stammt aus dem Jahr 1839
Die heute sichtbare Turmuhr mit den Sonnenzeigern stammt wohl aus dem Jahr 1839, erklärt Uta Coburger von den Staatlichen Schlössern und Gärten (SSG) in Baden-Württemberg. Mitte des 19. Jahrhunderts installierte der Heidelberger Uhrmachermeister Christian Stieffel im obersten Stockwerk die Uhr. Viel mehr ist leider über die Uhr nicht bekannt. Stieffel kümmerte sich wohl um mehrere Uhren im Heidelberger Stadtbild, zum Beispiel auch um die Uhr an der Universität Heidelberg, die es heute in der Form auch nicht mehr gibt.
Diese Universitätsuhr sei wahrscheinlich die Leituhr gewesen, erklärt Coburger, an denen sich alle anderen Uhren der Stadt orientierten. Stieffel wartete sie wohl einmal in der Woche. Die Uhrzeit habe er dabei noch mit einem Sextanten astronomisch bestimmt – zu dieser Zeit eigentlich schon eine veraltete Art, die Uhr zu stellen. Universitätsprofessoren hätten sich über diese „schlampige“ Messung beschwert, erzählt Coburger, doch Stieffel zufolge seien die Uhren so alt gewesen, dass es nicht anders gegangen sei.
Eventuell habe Stieffel die Uhr am Heidelberger Schloss sogar selbst bezahlt – eine Investition, die sich mit den folgenden Wartungsverträgen wahrscheinlich gelohnt habe, so Coburger. Doch ganz genau wisse man auch das nicht. Zwar habe zu der Zeit schon niemand mehr im Schloss gewohnt, doch gab es schon Touristen, die sich das Schloss anschauen wollten. Mit dem Aufkommen der Rheinschifffahrt und der Bahnverbindung zwischen Mannheim und Heidelberg Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Schloss leichter zugänglich.
Und für die Romantiker stellte der halbverfallene Gebäudekomplex ein Sehnsuchtsort dar: Die Natur hatte sich das Schloss, das zuletzt durch einen Blitzeinschlag am 24. Juni 1764 zerstört wurde, wieder teilweise zurückgeholt. Diese perfekte Kombination von Kultur und Natur habe die Romantiker in Heidelberg besonders angesprochen, erklärt Coburger.
Ehemalige Turmuhr am Heidelberger Schloss eingeschmolzen
Doch das Mysterium des Torturms und seiner Uhr erstreckt sich noch weiter in die Vergangenheit. Denn schon vor dem Stieffel’schen Chronometer gab es eine Turmuhr. Und über die ist noch weniger bekannt. Sie sei verloren, vermutlich abmontiert von den Franzosen in Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges und dann eingeschmolzen worden, um die Edelmetalle anderweitig zu verwenden. Einzig Liselotte von der Pfalz beschrieb den Torturm in ihren berühmten Briefen, wie er im 17. Jahrhundert ausgesehen haben muss. Damals gab es beispielsweise auch noch eine Ziehbrücke zwischen dem Torwächterhäuschen und dem Torturm.
Aktionstag am Schloss
- Am Samstag, 29. März, findet im Schloss Heidelberg der Aktionstag „Frühlingserwachen“ statt.
- Von 14 bis 17 Uhr gibt es ein vielfältiges Programm mit Musik, Events, Tänzen, Infoständen und historischen Persönlichkeiten.
- Bei freien Rundgängen können die Besucher ausgewählte Schlossräume entdecken.
- Auch die Ausstellung „Faszination LEGO“ sowie das Deutsche Apotheken-Museum im Heidelberger Schloss sind geöffnet. rad
Und noch eine Besonderheit gab es: Unter dem Ziffernblatt, in dem Loch, das heute ein wenig aussieht wie ein Schlüsselloch, saß einst eine metallene Kugel. Sie habe den Monat angezeigt, erklärt Coburger. Auch dieses Wissen stammt aus den Briefen Liselottes. Dabei war eine Seite der Kugel wohl golden, die andere blau. Doch wie genau die Monatsanzeige mit der Kugel funktionierte, ist bis heute unerforscht, sagt Coburger.
Unter Uhr und Monatskugel muss außerdem ein Wappen aus massivem Silber gehangen haben. Die zwei Torriesen, zwei gerüstete Wächter, und zwei Löwen sind heute noch an der Fassade zu bestaunen – das Wappen ist verloren, wahrscheinlich ebenfalls an die Franzosen.
Uhren waren zu dieser Zeit ein Luxusgegenstand, erklärt Coburger. Nur reiche Menschen konnten sich ihre privaten Uhren leisten. Im Schloss hing wohl in jedem Zimmer eine Uhr. Doch die Bürgerinnen und Bürger mussten sich an den Uhren im Stadtbild orientieren – zum Beispiel an den Kirchturmuhren und den Kirchenglocken.
Die öffentlichen Uhren waren also oftmals die einzigen Zeitmesser für die Bevölkerung, nach denen sich der Alltag der Menschen richtete. Sie wurden entweder täglich oder wöchentlich aufgezogen – die Uhr an der Heiliggeistkirche im 19. Jahrhundert beispielsweise täglich. Die Uhr am Torturm des Schlosses wurde im Laufe der Zeit mehrfach modernisiert. 1999 fand die letzte Überarbeitung statt. Da wurde der mechanische Antrieb durch eine elektronische Steuerung ersetzt. Heute sind Kopien am Torturm zu finden, die Uhr wurde nach und nach erneuert und ersetzt. Und die stellt sich bei der Zeitumstellung automatisch um.
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