Soziales - Einrichtungen verzeichnen mehr bedürftige Kunden – und bangen um deren Versorgung

Tafeln in der Region Rhein-Neckar stoßen an ihre Grenzen

Von 
Agnes Polewka
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Hubert Mitsch vom Mannheimer Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes vor dem Tafelladen im Mannheimer Süden. © Christoph Blüthner

Rhein-Neckar. Eine ältere Frau sitzt auf einem Hocker in der Plankstadter Straße auf der Rheinau und strickt. Ein Knäuel blauer Wolle ruht auf ihrem Schoß. Sie wartet. Darauf, dass der Tafelladen im Mannheimer Süden öffnet und sie ihr Berechtigungskärtchen in ein Körbchen legen kann. Irgendwann wird irgendwer sie aufrufen. Dann kann sie in den Tafelladen eintreten, in dem Salat, Milch und Kartoffeln 85 bis 90 Prozent weniger kosten als im Supermarkt. Bis dahin strickt sie. Und wartet. Wie die Menschentraube vor dem Laden. Die meisten von ihnen kommen seit Jahren. 200 bis 300 Menschen, mal mehr, mal weniger. Manche kommen regelmäßig, andere gelegentlich.

90 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind in den vergangenen Wochen dazu gekommen. „Jeder, der mit dem Rücken zur Wand steht, ist bedürftig - und für all diese Bedürftigen fühlen wir uns verantwortlich“, sagt Hubert Mitsch vom Mannheimer Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes, dem Träger der Tafeln in Mannheim, Hockenheim und Edingen-Neckarhausen. Die Tafelläden versorgen aktuell mehr Menschen, die dringend Hilfe benötigen, mit Grundnahrungsmitteln: mit Brot, Butter, Käse und Gemüse.

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Dabei stoßen sie zunehmend an ihre Grenzen, etwa durch Lieferprobleme. „Das hat verschiedene Gründe“, sagt Mitsch. Private Hilfstransporte aus der Bevölkerung, die Lebensmittel direkt in die Ukraine oder an die polnische Grenze bringen, „Hamsterkäufe“ privater Haushalte aus Unsicherheit, Abriss der Lieferketten durch den Krieg, höhere Lebensmittelpreise. Bis jetzt reichen die Lebensmittel, aber Hubert Mitsch macht sich Sorgen darüber, wie es weitergeht. Und: „Hinzu kommen die gestiegenen Energiekosten, die wir auf unseren Touren natürlich auch stark spüren.“

Angst davor, leer auszugehen

Auch seine Ludwigshafener Kollegin Stephanie Zimmer bangt darum, wie es weitergeht. „Wir haben im Moment eine Warteliste bis zum 20.Mai, um sich überhaupt für den Tafelladen zu registrieren“, sagt Zimmer. Um nachzuweisen, dass man bedürftig ist, um einen entsprechenden Nachweis zu erhalten. Kommen noch mehr Menschen, könnte ein Aufnahmestopp drohen. In Ludwigshafen könnte sich dann zumindest vorerst kein weiterer Mensch registrieren, um im Tafelladen einzukaufen. Menschen, die bislang nicht registriert sind und nichts zu essen haben, erhalten Notpakete im Tafelladen, etwa 10 bis 12 davon geben Zimmer und ihr Team pro Woche aus.

Auf der Rheinau läuft ein älterer Mann mit Sonnenbrille und Hut vor dem Laden auf und ab. Am Rand steht ein jüngerer Familienvater, der aus Syrien stammt. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, aber er erzählt von seinem Leben, der Ankunft in Deutschland vor sieben Jahren. Von seiner Arbeit als Schneider und von seiner Frau, die in einem Friseursalon arbeitet. Von den drei Kindern. Davon, dass die Miete für ihre Zweizimmerwohnung den größten Teil des Familieneinkommens verschlingt und er deshalb im Tafelladen einkaufen geht. Zwei, drei Mal die Woche.

Drei Frauen unterhalten sich auf Ukrainisch, eine weitere tippt Ladenchefin Janina Rusakiewicz an, die gerade mit dem Lebensmittel-Lieferanten spricht. In ihren Händen hält sie ein Dokument und ihren Pass. Sie lächelt schüchtern. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sitzt die ältere Frau und strickt, reiht Masche an Masche, während die Schlange vor dem Tafelladen länger wird.

"Los entscheidet, wer zuerst an der Reihe ist"

„In Heidelberg haben wir das große Glück, dass es in der Stadt eine sehr große Spendenbereitschaft gibt“, sagt Christian Heinze von der Heidelberger Diakonie, die den Diakonieladen „Brot und Salz“ in der Plöck betreibt, einen von zwei Tafelläden in der Stadt. „Natürlich sehen auch wir, dass sich gerade etwas verändert“, sagt Heinze. Es kommen wieder mehr Menschen in den Diakonieladen. Er beobachtet, dass die Zahl der Menschen, die bedürftig sind, steigt. Teilweise kommen nun auch ältere Menschen zu ihnen, die dem Laden früher selbst Lebensmittel gespendet haben und nun Hilfe brauchen. „Das ist für viele sehr schambehaftet“, sagt Heinze. Gleichzeitig könnten die Kunden des Ladens nach wie vor versorgt werden, „auch wenn wir nicht immer alles da haben - aber das ist kein neues Phänomen“, sagt Heinze.

Ähnlich ergeht es dem zweiten Tafelladen in der Stadt, der vom Heidelberger Caritas-Verband getragen wird. „Wir erhalten nach wie vor Warenspenden in größerem Umfang - von den Kirchengemeinden, Vereinen, von Firmen und Privatspendern“, sagt Michael Deimann, der beim Caritas-Verband für den Tafelladen „Rat und Tat St. Elisabeth“ in der Südstadt verantwortlich ist. Auch er stellt aber fest, dass man im Laden organisatorisch und personell zunehmend „an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit“ stößt.

Auf der Rheinau werden die Menschen gebeten, ihre Berechtigungskarten in den Korb zu legen, das Los entscheidet, wer zuerst dran kommt. Das ist wichtig, damit sich niemand benachteiligt fühlt. „Menschen in Armutslagen leben ständig in der Befürchtung, leer auszugehen“, sagt Udo Engelhardt, Vorstandsmitglied des Vereins Tafel Baden-Württemberg. Auch bei Hubert Mitsch melden sich Menschen, die Angst davor haben, zu kurz zu kommen. Unbegründet, „denn wir fühlen uns für alle Bedürftigen verantwortlich“, bekräftigt Mitsch. (mit epd)

Redaktion

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