Eindrücke aus der Region

Streik im öffentlichen Nahverkehr - Busse und Bahnen stehen still

Von 
Julian Eistetter und Bernhard Zinke
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Die Situation am Dienstagmorgen vor dem Mannheimer Hauptbahnhof: Nur vereinzelt trifft man auf Reisende. © Thomas Tröster

Rhein-Neckar. Um halb 10 Uhr stehen noch etwa 100 bis 150 Menschen vor dem Betriebshof in Mannheim. Rot-weiße Verdi-Fahnen sind an Ampelmasten angebracht, auf einem großen Transparent steht „Wir sind es wert“. Straßenbahn- und Busfahrer sowie Mitarbeiter aus Verwaltung und von Werkstätten der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (RNV) haben sich dort am Dienstag eingefunden und sind dem Streikaufruf der Gewerkschaft Verdi gefolgt.

“Wir wollen für die Sache zusammenstehen und Zusammenhalt demonstrieren“, sagt ein Mann, der seit 18 Jahren für die RNV Straßenbahnen fährt. „Die Belastung und der Stress sind in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden. Wir Fahrer tragen eine große Verantwortung“, sagt er. Deshalb fordert die Gewerkschaft mehr Lohn, Urlaubsgeld sowie die Anerkennung der Fahrtzeiten zwischen Übernahme und Übergabe des Fahrzeugs. „Das sind alles wichtige Themen für uns“, sagt der Mann, der anonym bleiben will.

Dass durch den Warnstreik der komplette Nahverkehr in der Region lahmgelegt wird, bereite den Mitarbeitern zwar kein gutes Gefühl. „Es gefällt uns überhaupt nicht, die Leute stehen zu lassen“, sagt der Fahrer. Doch der Streik sei das einzige Instrument, den Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Heidelberger Pendler vom Bus- und Bahnstreik kalt erwischt

Die Auswirkungen der Arbeitsniederlegung zeigen sich früh am Morgen in Heidelberg. Ein Dutzend vor allem junger Menschen steht am Dienstagmorgen an den Bahnsteigen der Straßenbahn vor dem Hauptbahnhof. Vor allem Schüler und Studenten sind es. Sie warten. Vergebens. Obwohl auf den Laufbändern steht, dass den ganzen Tag über keine Busse und Bahnen kommen werden. „Ich hab‘ gedacht, die Busse fahren trotzdem“, sagt eine Studentin, die zum Arbeiten ans NCT im Neuenheimer Feld muss. Die S-Bahn aus Mannheim sei ja schließlich gefahren. Ihre Gefühlslage ist durchwachsen. „Ich kann‘s schon verstehen, dass die Fahrer streiken. Ich find‘s aber jetzt trotzdem doof.“ Schließlich nimmt sie‘s mit Humor. „Ich hab‘ ja nichts gegen einen Morgenspaziergang“. Eine halbe Stunde wird sie ins Neuenheimer Feld unterwegs sein.

Auch eine Schülerin wartet auf den Bus. Laut der App auf dem Handy  ist der Bus vor zwei Minuten gekommen. „Wir haben in fünf Minuten Unterricht“, sagt sie. Sie wird es nicht pünktlich zum Schulbeginn schaffen. Zuhause in St. Leon-Rot seien die Busse trotzdem gefahren. Da habe sie gehofft, dass das auch hier der Fall ist. Auch sie muss nun eine Viertelstunde Fußmarsch auf sich nehmen.        

Joannis Vlachos reißt die Augen weit auf, als der Reporter ihm am Bahnsteig der Heidelberger Straßenbahn erzählt, dass heute kein Bus und keine Bahn mehr kommen wird. Er ist auf dem Weg zum Arzt nach Eppelheim, kann wegen der Schmerzen in der Wade kaum laufen. Um 9 Uhr hat er seinen Behandlungstermin. Jetzt rätselt er, wie er nach Eppelheim kommt. Er ist gestern aus Athen zurückgekommen. Vom Streik hat er nichts erfahren. Zuhause in Wiesloch seien die Busse gefahren. „Ich hab mir extra ein Tagesticket für sieben Euro gekauft.“, schimpft er, „ich hab‘ überhaupt kein Verständnis für den Streik.“ Irgendetwas müsse doch fahren. „Es kann sich doch nicht jeder ein Taxi leisten“, sagt er. Dann ruft er seinen Freund an und bittet ihn, ihn abzuholen. Der Freund kann in einer halben Stunde da sein. 

Eine Gruppe sechs junger Männer trifft sich am Straßenbahnstreik. Sie kommen aus Mosbach und St. Leon-Rot und müssen nur zur Johannes-Gutenberg-Schule. „Die liegt 1,3 Kilometer weg“, sagt einer. Überrascht hat sie der Streik nicht. Der Lehrer habe sie am Montag darüber informiert. „Ich find‘s trotzdem  scheiße“, sagt einer.  

Auch die Mobilitätszentrale hat geschlossen. Ein DIN-A-4-Papier informiert die Kunden über den Streik und verweist für weitere Informationen auf das Internet-Angebot River-online.   

Am Straßenbahndepot ein Block weiter herrscht Ruhe und Frieden. Die Busse stehen in Reih‘ und Glied hinter den verschlossenen Toren. Hier wird sich heute kein Fahrzeug mehr wegbewegen. Die Streikposten haben sich am Eingang zum Betriebshof an der Ecke zur Bergheimer Straße aufgebaut. Seit 3 Uhr am Morgen stehen die Mitarbeiter hier. Jürgen Lippl, Geschäftsführer von Verdi Rhein-Neckar, kann den Ärger der Menschen gut verstehen. Man streike aber nicht, um die Menschen zu treffen, sondern um die Arbeitgeber zu ernsthaften Verhandlungen zu zwingen. Nach zwei Runden liege immer noch kein Angebot auf dem Tisch. Dabei habe man früh gegenüber den Tarifpartnern signalisiert, dass Corona-Zeiten sich nicht unbedingt zum Streik eignen. Das Angebot habe auf dem Tisch gelegen, die Tarifrunde gegen Einmalzahlungen auszusetzen. Doch die Arbeitgeber hätten auf die Schwäche der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder spekuliert. So gebe es also keine andere Möglichkeit als einen eintägigen Warnstreik, um Druck aufzubauen. 

Der Katalog mit zehn Forderungen von Verdi, dem einzigen Tarifpartner der RNV liegt auf dem Tisch: Unter anderem geht es um die Änderung der Rüstzeiten. Verspätungen im Fahrplan sollen schon ab der ersten Minute als Arbeitszeit zählen, nicht erst nach einer Viertelstunde, ebenso die Fahrzeit zwischen Übernahme und Übergabe des Fahrzeugs. Da könne schon mal eine halbe Stunde dazwischen liegen. „Das ist bislang Privatvergnügen“, erläutert Lippl. Außerdem will Verdi fünf Entlastungstage erstreiten. Der Job des Bus- und Straßenbahnfahrers sehe immer entspannt aus, sei es aber keineswegs.

Auf der anderen Straßenseite beteiligt sich die Nahverkehrsgewerkschaft an dem bundesweiten Streik. Diese ist ebenfalls Mitglied im DGB, sitzt bei der RNV Aber nicht mit am Verhandlungstisch. Regionalvorsitzender Frank Richter bringt die Forderungen auf den Punkt: 4,8 Prozent mehr Lohn und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Leergefegter Taxistellplatz am Mannheimer Hauptbahnhof

“Ach, heute fahren ja gar keine Bahnen“, sagt eine ältere Frau zu ihrer Begleitung, als sie aus der Halle des Mannheimer Hauptbahnhofs treten. Schnurstracks gehen die beiden zu Fuß in Richtung Innenstadt weiter. Am Bahnhofsvorplatz zeigen sich die Auswirkungen des Streiks vor allem am leergefegten Taxistellplatz. Wo die Fahrzeuge normalerweise in langen Schlangen stehen, sind an diesem Morgen nur wenige Autos zu sehen. „Wir haben durch den Streik mehr zu tun“, sagt ein Taxifahrer. Dann kommt schon eine neue Kundin und er muss weiter. Die Kollegen in Heidelberg schätzen, dass sie rund 30 Prozent mehr Aufträge haben. "Es könnte noch mehr sein," sagt Taxibesitzer Elvan Sahin. Aber die Leute hätten zu früh bescheid gewusst, dass die Busse und Bahnen ausfallen. Sonst wäre noch mehr los gewesen.   

Auch auf der anderen Rheinseite bringt der Warnstreik gewohnte Abläufe durcheinander. Vor dem Schulzentrum Mundenheim mit dem Heinrich-Böll-Gymnasium und der Karolina-Burger Realschule plus reiht sich am frühen Morgen ein Auto ans andere. Auf dem Streifen der Bushaltestelle oder am St. Annastift Kinderheim halten die Eltern kurz, um ihre Kinder abzusetzen. Ein Mann steigt aus, um sich von seinem Sohn zu verabschieden. „Normalerweise fährt er mit der Bahn zur Schule. Er ist ja auch alt genug“, sagt er. Für den einen Tag sei es jedoch kein Problem gewesen, den 14-Jährigen zur Schule zu fahren. „Ich bin derzeit ohnehin im Homeoffice und fange dann einfach etwas später an“, erklärt er.

Ein paar Busse halten am Dienstagmorgen sogar vor den Schulen. Sie gehören zum Unternehmen Palatina Bus, das vor allem die Gemeinden im Rhein-Pfalz-Kreis bedient. Dort wird heute nicht gestreikt. Die nahegelegenen Bahnhaltestellen hingegen sind verwaist.     

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Warnstreik im öffentlichen Nahverkehr

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Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

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