Bildende Kunst - Speyer und Worms befassen sich mit dem nationalsozialistischen Zusammenhang ihres künstlerischen Erbes im öffentlichen Raum

Speyer und Worms stellen sich ihrem künstlerischen Erbe aus der Nazizeit

Von 
Manfred Loimeier
Lesedauer: 
Der fragliche Gobelin, der „Nibelungenteppich“ nach dem Entwurf von Hermann Kaspar, umgesetzt von der Gobelinmanufaktur Edith Müller-Ortloff in Meersburg am Bodensee. © N. Seilheimer/Stadt Worms

Speyer/Worms. Es ist eine Binsenweisheit: Das Vergangene wirkt immer bis in die Gegenwart nach. Was das konkret bedeutet, entpuppt sich nicht selten als größere Herausforderung. Das gilt auch für den Umgang mit den Kunstwerken im öffentlichen Raum, die einst während des Nationalsozialismus oder aber in der Nachkriegszeit von Künstlern geschaffen wurden, die als Günstlinge des Nazi-Regimes von Privilegien profitierten (wir berichteten). Das betrifft hier in der Region auch die Städte Speyer und Worms.

Wobei in Speyer der Fall ein bisschen anders liegt. Da wurde im Jahr 1937 mit Ludwig Cauer nämlich ein Bildhauer mit der Skulpturengruppe der salischen Kaiser beauftragt, der nicht zu den Nazi-Günstlingen zählte. Der Rheinland-Pfälzischen Personendatenbank zufolge – verantwortet vom Landesbibliothekszentrum Rheinische Landesbibliothek Koblenz – wurde 1941 sogar ein Berufsverbot gegen Cauer erlassen, und zwar exakt wegen dieser Kaiser-Gruppe aus Muschelkalk. Stand sie in Speyer zunächst im Hof des Stadtarchivs, ist sie seit 1964 im Domgarten zu sehen.

Beauftragt hatte diese Figurengruppe Reichsinnenminister Wilhelm Frick, ein 1946 hingerichteter Kriegsverbrecher. Und das ist das Problem: Zwar wies die Stadt Speyer auf ihrer Homepage auf Frick als Auftraggeber hin, aber gerade so, ohne weitere Angaben, als sei der Auftrag eines Reichsinnenministers ein Gütesiegel. Indes: Die Anfrage bei der Stadt Speyer führte umgehend zu einer klärenden Korrektur auf der Webseite, und darüber hinaus plant die Stadt, wie Rita Nitsche von der Stadtverwaltung Speyer mitteilt, „eine Erläuterungstafel an der Figurengruppe im Domgarten anzubringen.“ Problem erkannt, Problem gelöst.

„Fahnenträger der Kunstmission“

Schwieriger hat es dagegen die Stadt Worms mit dem „Nibelungenteppich“ von Hermann Kaspar im Kulturzentrum Das Wormser. Kaspar ist ein deutlicher Profiteur des Nazi-Regimes und steht auf Adolf Hitlers und Joseph Goebbels’ 1944 erstellter „Gottbegnadeten-Liste“ der von Wehr- und Arbeitsdienst freigestellten und mit öffentlichen Aufträgen und Steuervorteilen versehenen Künstler des NS-Regimes.

Kaspar, so zitiert der Kulturkoordinator Volker Gallé im Heimatjahrbuch 2014 den Kurator des Deutschen Museums München, Hartmut Petzold, „wurde zu einem der offiziellen Fahnenträger der nationalsozialistischen Kunstmission und auch zum Exekutor ihrer politischen Durchsetzung“. Kaspar erhielt 1937 an der Münchner Akademie der Bildenden Künste die „Klasse des als ,entartet’ erklärten und entlassenen Karl Caspar“ und wurde 1938 Professor an der Akademie. Auch war Kaspar laut Petzold, wie Gallé schreibt, „an einer ,Säuberung’ der Münchner Neuen Staatsgalerie im Zuge der Aktion ,Entartete Kunst’ beteiligt gewesen.“

Als einer der aktivsten Künstler auch in der Nachkriegszeit erhielt Kaspar zahlreiche öffentliche Aufträge. Beispielsweise 1969 für den Gobelin „Die Frau Musica“ in der Nürnberger Meistersingerhalle oder aber, 1962, für einen Gobelin für die Stadt Worms, eben den „Nibelungenteppich“. Dieser wurde 2012 – nach Reinigung, Restaurierung und Einlagerung im Jahr 2007 – im Theaterfoyer des „Wormser“ aufgehängt. Schon damals wurde „eine Kommentierung andiskutiert“, teilt Petra Graen aus dem Rathaus Worms mit. Als Ehrenamtliche Beigeordnete ist Graen Vorsitzende des Gesellschafterausschusses des „Wormser“.

Regionale Netzwerke

Bei der Debatte um den „Nibelungenteppich“ geht es mithin nicht um dessen künstlerische Qualität, sondern um die Frage, wie ein offenkundiger Profiteur des Nazi-Regimes noch in der Nachkriegszeit mit öffentlichen Aufträgen bedacht werden konnte. Einerseits entspricht dies freilich dem Geist jener Zeit, in der das Offenlegen alter Seilschaften wenig opportun war. Andererseits öffnet dies den Blick auf alte Netzwerke, die den öffentlichen Raum weiter prägten und prägen und fragen lassen, ob dieser Umgang mit Kunst und Künstlern heutzutage so noch vertretbar ist.

Beauftragt wurde Kaspar 1962 jedenfalls vom Aufbauverein Worms, der dabei von den Professoren Kurt Martin und Rudolf Esterer beraten wurde. Martin war seit 1957 Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung und ist mit der Metropolregion eng verbunden: Seine Laufbahn begann er 1927 als Volontär an der Kunsthalle Mannheim, er war dann Konservator am Badischen Landesmuseum Karlsruhe, kuratierte 1931 die Ausstellung „Deutsche Dichter als Maler und Zeichner“ für den Heidelberger Kunstverein und wurde 1934 Leiter der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, was er bis 1956 blieb.

Bekannt in der Metropolregion

1940 wurde Martin überdies Leiter der städtischen Museen Straßburgs sowie Generalbevollmächtigter für die Museen im Elsass und in Baden. In der Region wurde er zudem wegen seiner Beschlagnahmung beziehungsweise Arisierung der Kunstsammlung von Adolf Bensinger in dessen Mannheimer Villa bekannt.

Esterer wiederum, Jurymitglied beim Bau des Wormser Rathauses, war bis 1952 Präsident der Bayerischen Schlösserverwaltung und verantwortete als Architekt seinerzeit den Umbau der Burgruine Trifels in eine nationalsozialistische Weihestätte. Umstritten war er auch wegen der Zerstörung von Johann Schraudolphs Fresken im Speyerer Kaiserdom während der Renovierung 1957 bis 1961.

Dies zeigt, dass es bei der Debatte um Kunstwerke aus der NS-Zeit oder von Künstlern, die während des Nationalsozialismus gefördert worden waren, eben weniger um den ästhetischen Gehalt dieser Werke geht. Der „Nibelungenteppich“ steht seit 2008 als Folge eines automatisierten Verfahrens sogar unter Denkmalschutz; bis dahin mussten laut Graen „Denkmäler durch einen Verwaltungsakt unter Schutz gestellt werden. Dies ist nach unseren Unterlagen im Fall des Teppichs bzw. des Theaters nicht geschehen.“

Erneute Absprache

Graen zufolge wurden im Jahr 2008 nämlich alle Objekte, die in einer „Denkmaltopographie aufgelistet waren, kraft Gesetz unter Denkmalschutz gestellt. Somit ist das Gebäude in der Rathenaustraße 11 spätestens seit 2008 denkmalgeschützt.“ Der Nibelungenteppich war seit mindestens 1992 in dieser Denkmaltopographie aufgelistet und „2004 als ,hervorragendes Ausstattungsstück’ des Einzeldenkmals Theater angesprochen.“

Indes geht es inzwischen vielmehr um den heutigen Umgang mit den Kunstwerken dieser fraglichen Künstler – und zudem eben um ihre institutionelle Förderung noch in der Nachkriegszeit durch Netzwerke ehemaliger Akteure oder Mitläufer des NS-Regimes. Und was heißt das nun für Worms und den „Nibelungenteppich“ Kaspars? Graen jedenfalls will im Rathaus Worms „das Thema erneut zur Absprache in die entsprechenden Gremien bringen“, wie sie dieser Redaktion versichert. Die Vergangenheit wirkt eben bis in die Gegenwart nach.

Redaktion Geschäftsführender Redakteur und Mitglied der Chefredaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen