Speyer. Es sind vermutlich die letzten Tage, die der 83-jährige Gerhard Kurz im irdischen Leben verbringt – und sie fallen ihm schwer. Seit wenigen Wochen hat er sich auf den Weg gemacht, sein Schicksal anzunehmen. „Ich habe keine Schmerzen“, sagt er, während er an einer seiner drei täglichen Zigarren zieht. Das Leid spiele sich eher im Kopf ab. Der Gedanke, nicht mehr weiterleben zu können, schmerze ihn. „Wenn ich fernsehe, schweife ich ab. Ich bin mit meinen Gedanken schon woanders“, gibt er offen zu. Was auf ihn zukommt, darüber hat er kaum eine Vorstellung. An ein Leben nach dem Tod glaubt er jedenfalls trotz seiner christlichen Prägung nicht.
Im Januar hat man ihm gesagt, wie es um ihn bestellt ist. Zwei bis drei Monate – so haben es ihm die Ärzte im Ludwigshafener Klinikum damals mitgeteilt – habe er wohl noch. Dann werde er sterben an einem Speiseröhrenkrebs, dem seine Frau schon vor drei Jahren erlegen ist. Auf Maßnahmen, die das Leben verlängern könnten, hat er verzichtet.
Nun ist es kein Einzelschicksal, dass ein 83-jähriger Mann mit einer Krebsdiagnose umgehen muss. Überraschend ist allein der Weg, den der einst sehr erfolgreiche Kunstschmied eingeschlagen hat, um seine Mitmenschen über sein bevorstehendes Ende zu informieren.
Am Montag, 8. März, öffnete der einst begeisterte Karnevalist seinen Facebook-Account und tippte: „Liebe Freundinnen und Freunde“, begann er. „Zurzeit befinde ich mich im Hospiz Wilhelminenstift. Mein letztes Stündlein ist bald gekommen. Für die viele Freundschaft in all den Jahren bedanke ich mich ganz herzlich. Gruß, Gerhard Kurz.“ Er habe das ohne großes „Geschwulst“ schreiben wollen, sagt er drei Wochen danach. Die Resonanz war groß. Der digitale Abschied erreichte viele Menschen, die ihm eine gute Reise wünschten oder ihn ermahnten, noch nicht aufzugeben. Einige der 106 Kommentatoren seines Beitrags zollten ihm Respekt und zeigten sich gerührt über die offene Art des Umgangs mit seinem erwartbaren Tod. Von Engeln, die ihn begleiten mögen, ist da die Rede und von einem gemeinsamen Bier im Himmel – eines fernen Tages.
Vor einigen Monaten noch fit
Es sind erst wenige Monate vergangen, seit Kurz das letzte Mal auf dem Golfplatz stand. „Ich habe mich unsterblich gefühlt“, sagt der Mann, der Freundschaften in aller Welt gepflegt hat. Im Alter von 55 Jahren konnte er seine Firma verkaufen, weil er finanziell ausgesorgt hatte. Der Vater eines Sohnes aus erster Ehe nutzte die Zeit, lebte ein kleines pfälzisches Jet-Set-Leben, spielte Golf an den exotischsten Orten – zwischen Südafrika, Limburgerhof und der Insel Mauritius. Der gebürtige Neustadter stieß zu den Weinbrüdern in der Pfalz und gehörte einst zu den Gründungsmitgliedern der Vereinigung Badisch-Pfälzischer-Karnevalsvereine.
Als sogenannter Bohnenkönig regierte er Anfang der 90er Jahre das Garde-Corps Rot-Weiß in Speyer – ein Leben in Saus und Braus. Wenn er von dieser Zeit erzählt, huscht noch immer ein bübisches Lächeln über sein Gesicht. Und dann bahnt sich die Traurigkeit ihren Weg zurück in die noch wachen Augen. Was kommt nach dem Leben?
Ein Abschied über Facebook – im Alter von 83? Er habe sich den Umgang mit dem Medium vor einigen Jahren selbst beigebracht, nachdem die Speyerer Volkshochschule nur Kurse im Herbst angeboten hatte, er aber schon im Frühjahr auf Facebook präsent sein wollte. Was ihm die digitalen Bekannten auf seine letzte Facebook-Nachricht geantwortet haben, hat Kurz gar nicht so genau verfolgt. Kommentare von Menschen, die er näher kannte, habe er aber gelesen – auch jene zu seinem Geburtstag vor wenigen Tagen.
Digitales Dasein endet nicht
Schwieriger als einen Beitrag über Facebook zu teilen, findet Kurz es im Übrigen, ihm real nahe stehenden Menschen eine E-Mail über seinen bevorstehenden Tod zuzusenden. Da würde er gerne bessere Worte finden – und denkt unwillkürlich an einen langjährigen Golf-Freund aus Harthausen, dem er gerne noch schreiben würde. Persönlichen Begegnungen sei durch Corona auch ein Riegel vorgeschoben worden, sagt er.
Dass sein digitales Leben nicht endet, wenn in naher Zukunft sein physisches Leben vorbei ist, darüber hat sich der inzwischen schmal gewordene Mann noch gar keine Gedanken gemacht. Er wolle nun dieses Gespräch zum Anlass nehmen, das eventuell mit seinem jungen Neffen zu besprechen, der den Account dann verwalten oder löschen könne. Immerhin kommt es nicht selten vor, dass noch Jahre nach dem Tod einer Person Facebook-Nutzer nach dem Befinden des Verstorbenen fragen oder überschwänglich zum Geburtstag gratulieren.
Für Hospizleiterin Sabine Seifert ist diese Vorstellung eher grausig. Die Art, wie Gerhard Kurz via Facebook Abschied von Wegbegleitern genommen hat, findet sie jedoch „bemerkenswert“. Das habe sie bisher noch nicht erlebt – schon gar nicht bei einem 83-Jährigen.
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