Justiz

„Schnürsenkel-Mord“: Wird der Fall von Ermittler-Trio neu aufgerollt?

Nach dem Mord an seinem Sohn in Dallau kämpft ein Vater weiter für Gerechtigkeit. Sein Wormser Opfer-Anwalt Wolfram Schädler hat mit erfahrenen Spezialisten auf eigene Faust ermittelt - und will den Fall neu aufrollen lassen

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Agnes Polewka
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Zwei Männer mussten sich wegen des Verbrechens vor dem Mosbacher Landgericht verantworten. Einer von ihnen (r.) wurde wegen Mordes verurteilt. © FN/ MARCEL SOWA

Mosbach. Im April 2022 saß Ulrich Hartmann stundenlang vor dem Computer und wühlte sich durchs Netz - auf der Suche nach einem neuen Anwalt, der mit ihm für Gerechtigkeit kämpfen würde. Doch er fand keinen, der ihm geeignet erschien.

An einem Abend im gleichen Frühjahr zappte sich der Mosbacher durch das Fernsehprogramm. Während eines Beitrags hielt er kurz inne. Darin war der Wormser Opfer-Anwalt Wolfram Schädler zu sehen. Jahrzehntelang hat sich Schädler im Fall der ermordeten Frederike von Möhlmann engagiert, der Fall führte ihn bis vor das Bundesverfassungsgericht.

So tauchte Wolfram Schädler bundesweit in den Medien auf - unter anderem in dem Fernsehbeitrag in Ulrich Hartmanns Wohnzimmer.

Wormser Opfer-Anwalt Wolfram Schädler. © Agnes Polewka

„Ich habe Herrn Schädler dann eine Mail geschrieben, kurz darauf hat er mich angerufen und mir seine Hilfe angeboten“, sagt Ulrich Hartmann über zwei Jahre später im Gespräch mit dieser Redaktion. Darin geht es um Ulrich Hartmanns Kampf für Gerechtigkeit und um seinen größten Verlust im Sommer 2017.

Damals wurde sein Sohn Steffen brutal in der Wohnung eines „Freundes“ ermordet, sein Fall machte als „Schnürsenkel-Mord“ Schlagzeilen, weil Hartmanns Sohn mit seinem eigenen Schnürsenkel erdrosselt wurde.

Ein Jahr nach der Tat standen zwei Männer in Mosbach wegen des Verbrechens vor Gericht. Einer von ihnen wurde nach dem Jugendstrafrecht wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt, er räumte die Vorwürfe ein. Der zweite, ein damals 27-Jähriger, der sich vor Gericht nicht äußerte, erhielt wegen unterlassener Hilfeleistung eine Bewährungsstrafe.

Team um Opfer-Anwalt Schädler stößt auf Ungereimtheiten im „Schnürsenkel-Mord“

Doch schon früh beschlich Ulrich Hartmann das Gefühl, etwas passe hier nicht ganz zusammen. Sein Anwalt legte Revision gegen das Urteil ein, doch diese wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verworfen. Er suchte sich einen neuen Anwalt, der formell Beschwerde einlegte, aber bevor er alles fertigmachen konnte, starb der Jurist überraschend.

Und dann kam Schädler ins Spiel. Der ehemalige Bundesanwalt grub sich tief in den Fall ein und holte sich erfahrene Unterstützer ins Team - den pensionierten Richter am Bundesgerichtshof Bernhard Wahl und Profiler Michael Bauermann, der bis zu seiner Pensionierung als Leitender Wissenschaftlicher Direktor der Kriminalistisch-kriminologischen Forschungseinheit des Bundeskriminalamts (BKA) tätig war.

„Wir sind sehr bald auf Ungereimtheiten gestoßen“, sagt Schädler und lehnt sich auf dem Stuhl in seiner Kanzlei in Worms zurück. Akribisch rekonstruierte Profiler Bauermann den Tatablauf. Dafür ging er unter anderem Zeugenaussagen durch, sichtete Tatort-Fotos und Chatnachrichten.

„Wir sind uns sicher, eine der wichtigsten Zeugenaussagen war eine Falschaussage“, sagt der 76-jährige Opfer-Anwalt.

Die einer jungen Frau, sie - und das ist längst bekannt - hielt sich am Abend, an dem Steffen Hartmann starb, mit den drei Männern in der Wohnung auf. Vor Gericht soll sie berichtet haben, sie habe sich ins Schlafzimmer zurückgezogen und sei erst zu den beiden anderen Männern gestoßen, als der 21 Jahre alte Steffen Hartmann bereits tot gewesen sei und einer der beiden - der später wegen Mordes verurteilte Täter - den Kopf des Toten in einen Wassereimer getunkt habe.

Ermittler-Trio vermutet Falschaussage von wichtiger Zeugin

Ulrich Hartmann gegenüber soll die aber Frau angegeben haben, sie habe den „Todeskampf“ seines Sohnes miterlebt. Dies untermauert laut Schädler und seinem Team ein Chatverlauf, per WhatsApp soll sie einer Freundin geschrieben haben: „Ich habe alles gesehen. Ich kann nimmer.“

Das Trio fand aber noch weitere Indizien, die dafür sprechen könnten, dass die Zeugin die Unwahrheit gesagt hat: „Laut dem rechtsmedizinischen Bericht fanden sich Spuren von Wasser in der Lunge des Opfers“, sagt Schädler. „Ein toter Mensch kann kein Wasser einatmen. Das heißt, er muss zuerst getunkt worden sein und wurde danach erdrosselt.“

Und: Die DNA von Steffen Hartmann soll sich am Rand und am Henkel des Eimers befunden haben, in den sein Kopf eingetaucht worden war, nicht aber die vom Haupttäter, der den Eimer getragen und geholt haben wollte. „Wie hätte Steffen den Eimer anfassen oder tragen sollen, als er schon tot war?“, wirft Schädler ein.

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Eine Falschaussage mit Folgen? Davon ist der Opfer-Anwalt überzeugt. Dadurch, dass die Frau angab, erst dazu gekommen zu sein, als Steffen Hartmann schon tot gewesen sei, habe sie nichts zum Tathergang sagen müssen - und zu einer möglichen Mittäterschaft des zweiten Mannes. „Für seine Teilnahme an der Tat sprechen zum Beispiel auch ein ungeklärtes Hämatom am Oberarm, Kratzspuren an Hals und Rücken und DNA-Mischspuren im Schuh von Steffen Hartmann.“

Doch das Verfahren gegen die Frau wurde eingestellt, Beschwerden dagegen wurden von der Staatsanwaltschaft in Mosbach und vom Generalstaatsanwalt zurückgewiesen. Im nächsten Schritt hat Wolfram Schädler nun die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) angeschrieben, mit dem Ziel, dass eine andere Staatsanwaltschaft mit der weiteren Bearbeitung betraut wird.

In der Hoffnung, dass die junge Frau doch wegen des Verdachts der Falschaussage angeklagt und verurteilt wird. Unter dieser Voraussetzung könnte der Fall tatsächlich neu aufgerollt werden. Und Ulrich Hartmann könnte vielleicht endlich Frieden finden. 

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