Kommunen schlagen Alarm

Rhein-Neckar-Bürgermeister schreiben Brandbrief an Olaf Scholz

Im Brief an den Bundeskanzler geht es um Corona, Flüchtlingskrise, Gasmangellage, Energiewende. Die Aufgaben der Kommunen sind gigantisch. Die Bürgermeister beklagen aber nicht nur fehlendes Geld

Von 
Bernhard Zinke
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Alarmstufe Rot nicht nur im Ladenburger Rathaus: Die Bürgermeister des Rhein-Neckar-Kreises haben einen Brandbrief an Bundes- und Landespolitik verfasst. © P. JAschke

Rhein-Neckar. Schon die Liste der Adressaten hat es in sich: Das Schreiben der Bürgermeister und des Landrats des Rhein-Neckar-Kreises geht an Bundeskanzler Olaf Scholz, Innenministerin Nancy Faeser, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Innenminister Thomas Strobl, Migrationsministerin Marion Gentges und Finanzminister Danyal Bayaz haben den Brandbrief bekommen, ebenso die regionalen Abgeordneten des Bundestags und des Landtags. 50 Bürgermeister haben unterschrieben. Es fehlen nur die Kommunen, in deren Rathäusern aktuell ein Amtswechsel an der Spitze stattfindet oder deren Bürgermeister - wie in Edingen-Neckarhausen - gerade gewählt werden.

Der dreiseitige Brief ist überschrieben mit „Kein ,Weiter-so’: Eine Art von Remonstration“. Das Wort „Remonstration“ ist ein Begriff aus dem Beamtenrecht: Hat ein Beamter Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer Weisung, so muss er seinem unmittelbaren Vorgesetzten gegenüber remonstrieren. Damit erhebt er Einwände gegen die Ausführung der Weisung. Dem Schreiben mangelt es tatsächlich nicht an Klarheit. Der Ton gibt deutliche Hinweise, wie groß die Not mittlerweile ist.

Was Kommunen fordern

In ihrem Brandbrief stellen die Kommunen konkrete Forderungen an die Bundes- und Landespolitik:

  • die sofortige Abschaffung der Umsatzsteuerpflicht für Kommunen,
  • Aussetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule,
  • Rechtskreiswechsel für Ukraine-Flüchtlinge rückgängig machen, damit Kommunen nicht an den Unterkunftskosten hängen bleiben,
  • Genehmigungsverfahren für Wohnungsbau und Infrastrukturmaßnahmen beschleunigen

Seit Langem hätten die kommunalen Spitzenverbände vor der andauernden und zunehmenden Überlastung der Kommunen gewarnt, bislang allerdings ohne Erfolg, heißt es in dem Brief. Offenkundig würden die Hilferufe in den Landtagen und im Bundestag aber ignoriert. „Den Landes- und vor allem Bundespolitikern fehlt es offensichtlich an Erfahrung in der Verwaltungsarbeit und der Kommunalpolitik- die ,Bodenhaftung’ ist verloren gegangen“, protestieren die Unterzeichner.

Hilflose Versuche

Die „dürftigen Ergebnisse des letzten Flüchtlingsgipfels“ hätten das Fass zum Überlaufen gebracht. „Ein weiteres Mal wurde deutlich, dass gravierende Probleme einfach auf die unteren Verwaltungsebenen wegdelegiert werden. Für die menschenunwürdige Unterbringung von zusätzlichen Flüchtlingen ist in unseren Städten und Gemeinden einfach kein Platz mehr da“, monieren die Verwaltungschefs. Zur Behebung der Wohnungsnot stünden keine geeigneten Instrumente zur Verfügung . „Sämtliche bisher aufgelegten Programme sind hilflose Versuche, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind.“

Den Kommunen fehlten aber nicht nur die Finanzen, sondern auch das Personal. „Nach den zahlreichen Krisen der letzten Jahre - Corona, Flüchtlinge, Gasmangellage - sind unsere Mitarbeiter schlicht am Ende ihrer Kräfte“, lässt es der Brief nicht an Deutlichkeit missen.

Die Liste der Aufträge sei lang: Umbau der gesamten Infrastruktur des Landes, vor Ort die Energie- und Mobilitätswende bewältigen, die Wohnungsnot bekämpfen, die Digitalisierung beschleunigen, das Klima und nebenbei auch noch die Demokratie retten. Dazu müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unzählige Statistiken ausfüllen, Biotopverbund- und Wärmenetzplanungen erstellen. Förderanträge müssten längst über externe Dienstleister gestellt werden, da niemand in den Behörden mehr den Durchblick im Förderdschungel habe. „Es ist nicht die Frage, ob die Kommunen bereit sind, die ihnen gestellten Aufgaben zu erfüllen, sie sind schlichtweg nicht mehr dazu in der Lage“, heißt es in dem Schreiben.

Brief ist keine Protestnote

Die Entwicklung sehen die Verwaltungschefs als große Gefahr für die Demokratie, da in der Bevölkerung Hoffnungen und Erwartungen geweckt würden, die sich nicht erfüllen ließen.

Der Brief steht in der Folge eines anderen Brandbriefs, den die kommunalen Spitzenverbände, Bankenorganisationen und der Industrie- und Handelskammertag in Baden-Württemberg vergangene Woche an Ministerpräsident Kretschmann geschrieben hatten. Auch dort wurde eine Entfesselung aus einem überregulierten Gesetzesrahmen gefordert. Der Brief sei durchaus Teil einer konzertierten Aktion, sagt Andreas Metz. Der Ilvesheimer Bürgermeister ist aktuell Kreisverbandsvorsitzender des baden-württembergischen Gemeindetags. Der Brief sei keineswegs als reine Protestnote gedacht. „Ich habe die Erwartung, dass wir eine Antwort bekommen, auch aus dem Bundeskanzleramt“, sagt Metz, „wir erwarten mindestens, dass man mit uns in den Dialog tritt“.

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

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