Sinsheim. Er wohnt seit 35 Jahren in Sinsheim-Hoffenheim, ist aus ganzem Herzen Kraichgauer - und lebt doch immer zwischen zwei Kulturen: Metin Aktay (45) arbeitet als Maler, engagiert sich als Fußball-Schiedsrichter und ist im Ort sehr beliebt. Um sich in Deutschland integrieren zu können, musste er sich aber von seiner türkischen Familie distanzieren. Diesen sehr schmerzhaften Weg beschreibt er in seiner Autobiografie "Heimatlos und zerrissen. Mein Leben zwischen zwei Kulturen". Sie ist gerade als Taschenbuch erschienen.
Es ist ein sehr persönliches Buch, das den Leser nicht schont. Ohne zusätzliche Dramatik erzählt der Türke mit den kurdischen Wurzeln von Prügel daheim und davon, wie er als Junge in die deutsche Klasse geführt wurde - ohne Stifte, Hefte oder ein Pausenbrot. Seine Eltern hatten die Einschulung verpasst, die Lehrer schickten den größeren Bruder, den nichts ahnenden Sechsjährigen zu holen. "Das Schlimmste für mich war, dass ich niemanden verstand", schreibt er fast 40 Jahre später.
Die Sprache des Gastlandes zu beherrschen gehört für Aktay unbedingt zur Integration dazu. "Ich habe zwanzig Jahre dafür gebraucht", räumt er ein. Denn daheim habe man ausschließlich Türkisch gesprochen. Es sei ein großer Fehler gewesen, die ersten Gastarbeiter nicht dazu zu verpflichten, Deutsch zu lernen, findet er. Ausgrenzung und Missverständnisse seien vorprogrammiert gewesen: "Dem Neuanfang in einem fremden Land waren viele nicht gewachsen. So blieben sie in ihrer eigenen Welt." Heute beherrscht Aktay nicht nur Deutsch, sondern auch verschiedene Dialekte. "Es macht mir einfach Spaß, Menschen damit zu überraschen." In der Familie des 45-Jährigen werden vier Sprachen gesprochen (Deutsch, Türkisch, Tschechisch und Albanisch). "Aber die deutsche Sprache ist für uns ein großer Segen, weil sie zu unserer Muttersprache geworden ist." Seine Lebensgeschichte auf Türkisch zu schreiben, das kann sich der Sinsheimer überhaupt nicht vorstellen: "Ich war 24 Jahre nicht in der Türkei."
Die Sprache seines Buchs ist keine literarische, sondern eine schlichte, die sehr ehrlich und offen wirkt. Wer Aktay kennt, glaubt beim Lesen seine Stimme zu hören. Vertrauensvoll gibt der Autor Einblick in das Innere einer türkischen Familie, in Gepflogenheiten und Vorstellungen. Die Unterstützung, die er bei den eigenen Eltern schmerzhaft vermisste, schenkten ihm Deutsche: "Familie Becker" nennt Aktay liebevoll jene Menschen, die ihm zu Ersatzeltern wurden und bei denen er so viel über Deutschland lernte - zum Beispiel, wie man Weihnachten feiert. "Ich habe lange vor meinen Eltern geheim gehalten, dass ich regelmäßig eine deutsche Familie besuche", gesteht der Muslim, der Prügel bezog, weil er sich den Menschen des Gastlandes öffnete.
Später distanzierte sich Aktay von den leiblichen Eltern, weil er sich in eine Katholikin aus dem Kosovo verliebte. Eine Verbindung, die beide Familien den jungen Erwachsenen untersagten. Die Flucht des Paares bis in die Türkei wird zum gefährlichen Abenteuer, aus dem Aktay erst Jahre später und mit Narben zurückkehrt - auch seelischen. Schonungslos, aber ohne Effekthascherei berichtet er aus dieser Zeit.
Dankbarkeit für Land und Leben
Respekt ist für den Neu-Schriftsteller ein wichtiger Wert. "Respekt muss man sich erarbeiten und verdienen. Wer andere nicht respektiert, hat auch keinen Respekt verdient und die Anerkennung bleibt auf der Strecke." Viel Anerkennung zollt Aktay der Nachkriegsgeneration - der deutschen wie "den zahlreichen helfenden Händen", die aus Spanien, Italien und der Türkei zu uns kamen. "Man sollte niemals vergessen, was wir heute haben und wie gut es uns eigentlich geht", betont er.
Die jüngste Flüchtlingskrise hat Aktay aus zwei Perspektiven erlebt. Zu gut weiß er, wie es sich anfühlt, fremd und unsicher zu sein. "Vielleicht hilft es dem interessierten Leser, meine Erfahrungen als Ansporn zu sehen, das Thema Integration einmal von beiden Seiten zu betrachten", hofft der dreifache Vater ohne moralisierenden Anspruch. "Wer in einem Land leben will, muss sich integrieren" - das hat er zum Lebensmotto gemacht.
Auszeichnung für Zivilcourage
2014 ist Metin Aktay von der Aktion "Beistehen statt rumstehen" ausgezeichnet worden. Er hatte zwei flüchtende Jugendliche gestoppt und am Kragen gepackt der Polizei übergeben.
Einer der beiden gilt als sehr aggressiv und wurde später nach anderen Vorfällen wegen schwerer Körperverletzung verurteilt.
"Für mich war das eine ganz normale Sache", hatte Aktay später seinen mutigen Einsatz bescheiden kommentiert. In seinem Buch ist er nicht erwähnt.
Seine Lebensgeschichte "Heimatlos und zerrissen. Mein Leben zwischen zwei Kulturen" ist im Ventura Verlag erschienen. Das Taschenbuch kostet zwölf Euro (ISBN 978-3-940853-48-6).
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