Frankenthal/Ludwigshafen. Die eindringlichen Worte von Staatsanwältin Esther Bechert treiben einigen Prozessbeobachtern im Zuschauerraum die Tränen in die Augen. „Das Opfer war das hilfloseste Wesen, das man sich aussuchen kann. Es war nicht einmal in der Lage, eigenständig den Kopf zu heben. Das Kind war abhängig von zwei Menschen, die ihm nichts Gutes wollten“, sagt die Anklagevertreterin in ihrem Schlussvortrag. „Das Ausmaß der Schmerzen und Qualen, die das Baby bei seinen Eltern erleiden musste, lässt sich kaum ausmalen - wie auch die Taten kaum auszumalen sind.“
Unter anderem wegen schwerer Misshandlung und schweren sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen hat die Staatsanwältin am Mittwoch mehrjährige Haftstrafen gegen das ehemalige Paar aus Ludwigshafen beantragt. Für die 27-jährige Nina R. forderte sie acht Jahre Gefängnis, für den zwei Jahre jüngeren Ismail I. vier Jahre.
Bechert und ihr Kollege Daniel Mayr sahen es nach der Hauptverhandlung als erwiesen an, dass die angeklagte Mutter ihrem damals sieben Wochen alten Sohn in der Nacht des 14. Oktober 2018 mit einem Fieberthermometer innere Verletzungen zugefügt hat, die eine lebensbedrohliche Entzündung des Bauchraums verursachten. Sie habe das getan, um sich sexuelle Erregung zu verschaffen, so die Anklägerin. Das ergebe sich aus mehreren Zeugenaussagen, etwa von Mithäftlingen, denen Nina R. davon berichtet habe. Ihre spätere Aussage, dass es der Vater gewesen sein müsse, weil sie das Thermometer nur versehentlich beim Fiebermessen ein wenig zu tief eingeführt habe, wertet die Staatsanwaltschaft als Schutzbehauptung.
Brüche bleiben unbestraft
Ismail I. wirft die Staatsanwaltschaft vor, in derselben Nacht den Penis des Jungen durch Ziehen und Quetschen verletzt zu haben. Auch dies sei aus sexuellen Motiven geschehen. „Für mich jedenfalls ist kein anderer Grund ersichtlich“, betont Bechert. Das bestätige auch die Auswertung des Handys des Angeklagten, denn am frühen Morgen nach der Tat habe Ismail I. bei Google nach Erektionsproblemen durch Verletzungen gesucht. „Sowohl Vater als auch Mutter hätten den desolaten Zustand ihres Kindes wahrnehmen müssen“, sagt die Staatsanwältin. Doch erst Stunden später seien sie beim Kinderarzt aufgeschlagen. Und auch dort hätten sie sich aber kaum für ihren leidenden Sohn interessiert.
„Insgesamt zeichnet sich ein Bild wenig fürsorglicher Eltern ab“, sagt Bechert. Was die zahlreichen weiteren Verletzungen des Kindes, wie Brüche an Schädel, Rippen und Schienbeinen angehe, so stammten diese definitiv nicht von einem Autounfall, wie von den Angeklagten behauptet. „Da das Kind in seinen ersten Lebenswochen nur im Krankenhaus oder zuhause war, müssen diese Verletzungen auch von den Eltern stammen. Leider kann aber nicht bewiesen werden, wer sie verursacht hat. Das führt zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass niemand dafür bestraft werden kann“, erklärt die Anklägerin. „Es wird also ihr ewiges Geheimnis bleiben, wer wann was getan hat. Doch es bleibt auch ihre Schuld, und die wird ihnen niemand von der Schulter nehmen.“
Fehlende Beweise?
Zugunsten der Eltern müsse man werten, dass sie in den sozialen Medien einer Flut an Hasskommentaren ausgesetzt gewesen seien - „sie wurden öffentlich vorverurteilt“. Das sei Folge der allgemeinen Fassungslosigkeit darüber gewesen, wie man so etwas dem eigenen Kind antun könne.
Die Verteidigung sieht die Vorwürfe nicht als erwiesen an. „Nach der Beweisaufnahme steht nur eines fest: Es ist immer noch unklar, wer die Verletzungen verursacht hat“, betont Alexander Kiefer, Rechtsanwalt der Mutter. Es gebe keine Beweise gegen Nina R., weshalb sie freizusprechen sei. „Ein Strafverfahren verläuft nicht immer im Opferinteresse“, so Kiefer. Daniel Heinlein fordert für Ismail I. ebenfalls einen Freispruch. „Auch, wenn das nicht dem Volkswillen entspricht“, sagt er. Seinem Mandanten sei kein strafrechtliches Verhalten nachzuweisen.
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