Weinheim. Es könnte ein Paradebeispiel für ehrenamtliches Engagement in der Corona-Pandemie sein: Eine Gruppe von freiwilligen Helfern – darunter Ärzte und medizinisches Fachpersonal – möchte in Zusammenarbeit mit der Stadt Weinheim und dem Gesamtelternbeirat der Schulen vom 20. bis 22. Dezember rund 1000 Schülerinnen und Schülern (ab zwölf Jahre) die Erstimpfung und Mitte Januar die Zweitimpfung mit Biontech gegen das Coronavirus ermöglichen.
Die Aktion wäre nach Auskunft von Susanne Wagner (kleines Bild), die eine der Mitinitiatorinnen ist, komplett kostenneutral. Ehrenamtliches Personal, Logistik und Verbrauchsmaterialien wären vorhanden beziehungsweise über Spenden gedeckt. Der Elternbrief der Schulen mit allen wesentlichen Informationen ist bereits vorbereitet. Aber es gibt ein riesiges Problem: Trotz vielfältiger Bemühungen droht die Aktion am fehlenden Biontech-Impfstoff zu scheitern.
Corona in der Region
Tagelang hatten Susanne Wagner und ihre Mitstreiter hinter den Kulissen alle Hebel in Bewegung gesetzt, um irgendwie an das offensichtlich knappe Gut heranzukommen. Aber weder der Landtagsabgeordnete Uli Sckerl (Grüne), der Ende November im Namen seiner Fraktion genau solche Aktionen öffentlich gefordert hatte, noch der Rhein-Neckar-Kreis, und auch nicht der Ärzteverein Regiomed Weinheim konnten helfen.
Jetzt wird die Zeit knapp. Deshalb hat Wagner, die kurz vor den Osterferien schon einmal sehr erfolgreich ein ehrenamtliches Helfernetzwerk – damals für die Schnelltests an Weinheimer Grundschulen – aufgebaut hat, am Dienstag einen Brandbrief an die Akteure in dieser Pandemie auf Bundes-, Landes- und Kreisebene geschrieben. Es ist in erster Linie ein Hilferuf – „mit einer Mischung aus Hilflosigkeit, Wut und einem Funken Hoffnung“.
„Moderna bleibt liegen“
In dem Schreiben weist die 43-jährige Physiotherapeutin, deren Sohn die Waldschule besucht, auf die Dringlichkeit der Impfaktion für Schüler vor Weihnachten hin: Nach geltender Rechtslage müssten diese bis zum 1. Februar 2022 vollständig geimpft sein, um erneuten Einschränkungen in ihrem Alltag zu entgehen. Dabei seien es zu Beginn der Pandemie vor allem die Kinder und Jugendlichen gewesen, die sich mit 27 Wochen Homeschooling solidarisch gezeigt hätten, um ältere Menschen zu schützen.
Weiter schreibt sie: „Aber was passiert? Bürger, die älter als 18 Jahre sind, bekommen bei den Hausärzten Biontech als Booster. Moderna bleibt im Kühlschrank liegen. Das ist für uns der schlimmste Aspekt in diesem Skandal.“
Kein Verständnis hat sie dafür, dass der Rhein-Neckar-Kreis keinen Impfstoff für die Aktion zur Verfügung stellen darf, weil dieser in den vom Land Baden-Württemberg finanzierten Impfstützpunkten gespritzt werden müsse. Und sie fragt, warum der Kreis nicht konsequent Moderna an Menschen ab 18 Jahre verimpft, um Biontech-Dosen für Jugendliche bereithalten zu können? Auch die Idee, dass bisher nicht selbst impfende Fachärzte für die Weinheimer Aktion Kontingente von Biontech bestellen, komme nicht zum Tragen, weil der Ärzteverein Regiomed diesen Weg bereits nutzt, um die impfenden Arztpraxen mit Biontech für ihre – meist erwachsenen – Patienten zu versorgen.
Der Rhein-Neckar-Kreis zeigte in einer ersten Stellungnahme Verständnis für das beschriebene Problem bei der Beschaffung von Impfstoff. Aber der Kreis sei ebenfalls „von der Kontingentierung des Biontech-Impfstoffs betroffen und verfügt über keinerlei Reserven“, teilte die Pressestelle auf Nachfrage mit. Seit mehr als zwei Wochen würden deshalb bei den Impfaktionen des Kreises grundsätzlich nur noch Personen unter 30 Jahre Biontech erhalten. „Insofern weisen wir den Vorwurf, der Rhein-Neckar-Kreis sei nicht in der Lage, in der Pandemie lösungsorientiert zu agieren, auf das Schärfste zurück.“
Durch den Ausbau von Impfaktionen und -stützpunkten habe man dauerhafte Impfangebote geschaffen. Gleichwohl begrüße man zusätzliche Angebote und hoffe, dass die Weinheimer Aktion wie geplant durchgeführt werden kann. Deshalb werde sich der Kreis mit dem Sozialministerium in Verbindung setzen und um Unterstützung bitten.
Auch die Stadt Weinheim und der Ärzteverband Regiomed unterstützen den Aufruf. Der Mangel an Impfstoff sei „nicht vermittelbar“, so Stadtsprecher Roland Kern. Und Regiomed-Geschäftsführer Friedrich-Karl Schmidt nannte den Mangel „eine Schande für unser Land“.
Das Stuttgarter Sozialministerium will sich derweil „mit Hochdruck“ beim Bund dafür einsetzen, dass ausreichend viel Impfstoff nach Baden-Württemberg geliefert wird. Und auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Sckerl sicherte Unterstützung zu und bedauert, „dass es bis heute derartige Probleme bei der Beschaffung von Impfstoff gibt“.
„Es ist zum Verzweifeln“, sagt Wagner im Gespräch mit dieser Redaktion, wobei sie dankbar erwähnt, dass Regiomed zumindest seine Unterstützung für eine weitere kommunale Impfaktion zugesagt hat. Am Samstag, 11. Dezember, wird das ehrenamtliche Netzwerk viele systemrelevante Berufsgruppen wie zum Beispiel aus Kitas, Schulen und Gesundheitseinrichtungen boostern – mit Moderna wohlgemerkt.
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