Medizin

Nach Wochen der Angst: Ehepaar bedankt sich bei Profis in Speyerer Geburtsklinik

Gerade 23 Wochen ist die Tochter von Marcel und Lorna Cerba alt, als sie im Speyerer Perinatalzentrum zur Welt kommt. Monate später besteht Hoffnung auf ein ganz normales Leben.

Von 
Stephan Alfter
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Hinter Lorna und Marcel Cerba und ihrer kleinen Tochter liegen harte Monate. Jetzt beginnt eine Zeit des Durchatmens. Sie sind guter Dinge, dass ihr Baby sich ohne Komplikationen entwickelt. © Marcel Cerba

Speyer. Man muss ihnen länger in die Augen schauen, dann ahnt man einen winzigen Teil der Strapazen, die hinter Lorna und Marcel Cerba liegen. Monate des Zweifels, des Bangens und Hoffens. Es war ein harter Winter für die nun vierköpfige Familie. Mit dem Frühjahr hat sich etwas Erleichterung breit gemacht. Vorbei die Tage, an denen jede Stunde im Bauch der Mama zählte. Vorüber die Wochen auf der Intensivstation. Vergangenheit sind die Monate mit den allergrößten Ängsten. Wer so früh in der Schwangerschaft ein Kind zur Welt bringt, muss viel aushalten können. Einen nicht geringen Anteil am neu gewonnenen Glück haben Pflegekräfte und Ärzte im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus in Speyer.

Das Perinatalzentrum gehört zu den profiliertesten in Deutschland, wenn es darum geht, Extremfrühchen einen Weg ins Leben zu ebnen. Verantwortlich dort ist Neonataloge Dr. Hans-Jürgen Gausepohl (kleines Bild). „Das war eine hoch dringliche Situation“, sagt er mit Blick auf den 22. November 2024. Um 5.36 Uhr kommt es zu einem eiligen Kaiserschnitt. Die Versorgung des Kindes sei wegen einer Plazenta-Ablösung nicht mehr gewährleistet gewesen. Das hätten auch die Blutgaswerte gezeigt, so Gausepohl.

Kinder in der 23. Woche sind absolute Grenzfälle

Schon drei Tage zuvor sieht es nicht so gut aus, als die 29-jährige Lorna in der 23. Schwangerschaftswoche ins Krankenhaus muss. Normalerweise liegen 40 Wochen zwischen dem letzten Tag der Menstruation und dem Geburtstermin. Ab der 30. Woche atmen Mediziner und Mütter üblicherweise auf, denn dann ist der Fötus weit genug entwickelt, um eine Frühgeburt relativ komplikationslos zu überleben. Im Fall von Lorna Cerba ist es anders: Blutungen und ein vorzeitiger Blasensprung erfordern schnelle Maßnahmen.

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Babys, die zwischen der 22. und dem Ende der 24. Schwangerschaftswoche geboren werden, sind absolute Grenzfälle hinsichtlich der Frage, ob sie lebensfähig sind. Ethische Fragen stellen sich. Wollen die Eltern, dass die Ärzte alles tun, um das Leben ihres Kindes zu erhalten? Oder wollen sie, dass die Ärzte zwar alles tun, damit ihr Kind nicht leiden muss, aber nicht alles, damit es überlebt? Für das Ehepaar aus Speyer ist die Sache klar. Lorna und Marcel Cerba wollen, dass ihr Kind alle Chancen bekommt.

Eine Spritze in den Körper der Mutter bereitet das Kind auf die Geburt vor. Es geht um die sogenannte Lungenreife – ein entscheidender Faktor für die spätere Atemfähigkeit. Dass sie im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus in guten Händen sind, wissen die Cerbas zu diesem Zeitpunkt bereits. Jeder Schritt ist abgestimmt. Jeder Handgriff ist existenziell. Gausepohl verortet sein Perinatalzentrum qualitativ auf dem Level der Mainzer Uni-Klinik. Was die Anzahl der Geburten anbelangt, war das Haus mit mehr als 3500 Geburten pro Jahr unter den Top Drei in Deutschland.

Wichtig sei aber nicht nur der medizinische, sondern auch der psycho-soziale Ansatz, finden Experten. „Auf der Neonatologie geht alles perfekt zu“, sagt Marcel Cerba im Rückblick auf das Fall-Management. Man habe dort jede Unterstützung bekommen, so der 39-Jährige. Für seine Tochter ist im November 2024 jede Minute entscheidend.

Chefarzt im Speyerer Perinatalzentrum des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses: Dr. Hans-Jürgen Gausepohl. © Gerald Schilling/Diakonissen

Bei einer Geburt in der 23. Woche liegt die Überlebensrate in einer aktuellen Studie aus den USA bei rund 55 Prozent, in der 24. Woche bei rund 71 Prozent und in der 25. Schwangerschaftswoche bei rund 82 Prozent. In der 25. Woche überleben fast 41 Prozent der Frühchen ohne schwere Komplikationen. Die Grenze, ab der Frühchen überleben können, in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter nach vorn verschoben. Die kleine Tochter der Cerbas präsentiert sich in den letzten Novembertagen als echte Kämpferin. Die zwölf Wochen nach der Geburt seien entscheidend, sagt man dem Ehepaar. Hirnblutungen, Darm-Entzündungen oder eine Sepsis können zu großen Schäden und zum Tod führen. Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie an der Berliner Charité, sagte kürzlich in einem Mediengespräch zu der USA-Studie: „Die Daten zeigen (...), dass Frühgeborene mit sehr niedrigem Gestationsalter durchaus überleben können, aber zum Preis einer hohen Komplikationsrate.“

Aufatmen nach fast 13 Wochen Intensivstation

Im Speyerer Fall geht alles gut. „Mädchen sind in dieser Phase härter als Jungs“, hat Lorna Cerba sich sagen lassen. Ihr Mann ist überzeugt, dass seine Frau einen sehr großen Anteil am Überleben seiner Tochter hat. Die Muttermilch sei ein Faktor gewesen, findet er. Im Inkubator muss die Kleine nach drei Tagen das erste Mal selbst atmen. Sie meistert die Herausforderung sogar über einen längeren Zeitraum als die Mediziner vermuten.

Warm eingepackt im Inkubator: Die kleine Tochter von Marcel und Lorna Cerba nach der Geburt per Kaiserschnitt in der 24. Schwangerschaftswoche. © Marcel Cerba

Winzige Schläuche stecken im Arm der Kleinen. Als ihre Mutter sie anfangs ganz zart berührt, ist die ganze Hand des Töchterchens gerade mal so groß wie die Fingerkuppe eines Erwachsenen.

Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus

Die Nutrivia- und Aptamil-Geburtenliste 2024 führt die Geburtshilfe des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses Speyer als drittgrößte von insgesamt 622 Geburtskliniken in Deutschland.

Im Jahr 2024 hat das Speyerer Geburtshilfe-Team 3705 Geburten begleitet. Mehr waren es nur am Bürgerhospital Frankfurt am Main (4154) und im St. Joseph Krankenhaus in Berlin (4190).

In der Abteilung mit neun Kreißsälen, zusätzlich vier Vorwehenzimmern, einem eigenen Kreißsaal-OP mit Anbindung an den Entbindungsbereich, 46 stationären Betten und einer großen geburtshilflichen Ambulanz sind zurzeit 43 Ärtz:innen, 40 Pflegekräfte und 62 Hebammen tätig.

Außerdem gehören zum Team zehn bis zwölf Medizinische Fachangestellte (MFA) sowie mehrere Hauswirtschaftskräfte. sal

Fast 13 Wochen verbringen die beiden auf der Intensivstation, ehe sie in ein normales Bett verlegt werden. Für Mediziner Gausepohl ist es wichtig, jene Kinder, die mit solch schwierigen Startbedingungen zu kämpfen haben, zum „Durchmarschieren“ zu animieren. Bis zum zehnten Lebensjahr (!) sollten Frühchen aus der 23. Woche alles aufholen können, was ihnen eventuell fehlen könnte. Der Arzt geht bei Töchterchen Cerba von einem ganz normalen Leben aus.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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