Interview

Nach Attacke auf Uni Heidelberg: So rechtfertigt der Verurteilte eine Straftat

Helfen Farbanschläge auf Gebäude, um Druck auf die Politik auszuüben? Moritz Riedacher ist Klima-Aktivist bei "Letzte Generation" und sieht Sprühattacken als Mittel. Nun soll er sechs Monate in Haft. Wer zahlt die 30.000 Euro?

Von 
Stephan Alfter
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Moritz Riedacher sprüht Farbe an die Fassade eines zentralen Unigebäudes in Heidelberg. © Alexander Kaestel

Heidelberg. Herr Riedacher, warum bringt es dem Klima etwas, wenn Sie und andere Aktivisten der „Letzten Generation“ die Fassade der Heidelberger Universität oder das Brandenburger Tor mit orangener Farbe besprühen? Helfen Sie uns.

Moritz Riedacher: Die Strategie ist es, immer wieder mit irritierenden und mit nicht in die Norm passenden Protestformen Aufmerksamkeit für den Zusammenbruch unserer Lebensgrundlagen zu erzeugen. Das soll einen gesellschaftlichen Diskurs anschieben. Damit wächst das Bewusstsein für das komplette Versagen der Bundesregierung in der Klimapolitik. Der Druck auf die Bundesregierung soll durch unseren Protest höher werden.

Aber Druck können Sie ja nur erzeugen, wenn eine größtmögliche Anzahl von Bürgern auch hinter dem Protest versammelt ist. Man hat eher den Eindruck, sie verlieren Leute, die lange in einer vielleicht sogar stillen Solidarität mit ihren Aktionen waren, indem sie sich nun bewusst wegen Sachbeschädigung strafbar machen.

Riedacher: Das ist falsch: Unsere Protestformen hatten bisher keinen negativen Einfluss auf die Menschen hinsichtlich ihres Denkens über den Klimaschutz. Dazu gibt es Studien, die das beweisen. Im Gegenteil: Aufmerksamkeit und Bewusstsein werden auf das Versagen der Bundesregierung gelenkt. Ferner haben wir nie Dinge unwiederbringlich zerstört. Ganz anders als die Klimakrise, die jetzt bereits viel Zerstörung anrichtet.

Moritz Riedacher

  • Der 27-jährige Moritz Riedacher gehörte in den vergangenen Monaten zu den auffälligsten Aktivisten in Baden-Württemberg.
  • Er ist zu drei mehrmonatgigen Haftstrafen verurteilt, gegen die er in Berufung gegangen ist oder gehen will.
  • Riedacher widmet sich dem Protest in Vollzeit und bekommt von seiner Gruppierung 400 Euro im Monat für Workshops. Er ist weder Student noch Arbeitnehmer. 

Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf die Art des Protests, oder? Es wurde ja – gefühlt – mehr darüber gesprochen, wie sie als Aktivisten zu bestrafen sind als über die Klimakrise selbst. Zum Beispiel über den sofortigen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, den Sie fordern.

Riedacher: Die Klimakrise ist nach wie vor eines der wichtigsten Themen der Deutschen – und das, obwohl Kriege, Pandemien und andere Konflikte vorherrschten und -herrschen. Was die Unterstützung unserer Proteste selbst angeht, ist das Ergebnis historisch gesehen auch nicht verwunderlich. Wir wissen aus Studien zu zivilem Widerstand, dass die Unterstützung aus der Bevölkerung nur langsam steigt. Das ändert nichts daran, dass viele den Grund für die Proteste legitim finden.

Ob ziviler Widerstand oder nicht – es handelt sich ja dennoch um Straftaten. Die wird man auch nicht im Nachhinein glorifizieren können. Das ist Sachbeschädigung. Das erkennen Sie schon an, oder?

Riedacher: Wir übertreten Gesetze. Aber ob das in der gegenwärtigen Lage gerechtfertigt ist, entscheiden immer noch Gerichte und nicht Sie oder ich. Es ist aus unserer Sicht auch nur legitim, das zu machen, wenn alle anderen Protestformen schon ausgeschöpft sind und sich trotzdem kein Wandel daraus ergeben hat. Die Regierung hält ihre eigenen Ziele und Gesetze nicht ein.

Welche Gesetze sind das?

Riedacher: Zum Beispiel das bestehende Klimaschutzgesetz, dem sich die Regierung verschrieben hat. Dort behauptet sie, alles dafür zu tun, um unter 1,5 Grad Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu bleiben. Klimawissenschaftler wie Hans-Joachim Schellnhuber sagen, dass wir weit über dieses Ziel hinaus schießen. Damit sind wir in Deutschland nicht alleine, aber wir müssen in unserer Demokratie hier den Anfang machen.

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Aber wer kommt denn jetzt genau für den Sachschaden an der Fassade der Universität in Heidelberg auf? Wer repariert das mit seinem Geld? Das ist ja ein Schaden, der schließlich der Allgemeinheit entstanden ist.

Riedacher: Ja, das ist ein Schaden und das ist bedauerlich. Wir als Gesellschaft werden aber viel größere Schäden zu tragen haben. Die Kosten der ungebremsten Klimakrise werden für Deutschland weitaus höher sein. Es geht dabei um Menschenleben, die gefährdet sind.

Die Universität ist eine Bildungseinrichtung des Landes. Somit zahlt das Land und damit der Steuerzahler bisher für die Instandsetzung der Fassade.

Riedacher: Die Auswirkungen auf das Leben der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen werden viel drastischer sein, wenn wir uns als breite Zivilgesellschaft nicht dem vernichtenden Kurs durch störenden Protest in den Weg stellen.

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Aber wenn die Uni das Geld von Ihnen zurückhaben will – wie würden Sie das dann bezahlen?

Riedacher: Das müsste ich mir überlegen. Möglich ist gemeinnützige Arbeit oder eine Spendenkampagne. Dazu bin ich bereit. Die Wissenschaft mahnt uns, endlich angemessen auf die Bedrohung zu reagieren.

Sehen Sie sich als Märtyrer, wenn Sie für ihre Taten sogar Haftstrafen auf sich nehmen?

Riedacher: Ich sehe mich in Deutschland in einer sehr privilegierten Situation. Wir leben in einem Rechtsstaat, der einigermaßen gut funktioniert und uns Freiheiten für diesen Protest gibt. Wir brauchen die Breite der Zivilbevölkerung, die mit uns sagt: „Wir machen das nicht mehr mit“. Denn es ist jetzt Aufgabe unseres Gewissens, auf diese Krise zu reagieren.

Schwächen Sie sich nicht selbst, wenn Aktivisten nun öfter mit Gefängnisstrafen zu rechnen haben, weil sie Geldstrafen nicht bezahlen können oder bewusste Sachbeschädigungen begehen?

Riedacher: Was wir definitiv wissen, ist, dass die sogenannte Präventivhaft in Bayern dazu geführt hat, dass es eine Solidarität in der Bevölkerung gab und dass Menschen dazu gekommen sind, um uns zu unterstützen.

Definitiv kann ich sagen, dass wir uns einem Konsens verschrieben haben, der endgültig ist. Der schreibt gewaltfreies Verhalten vor.
Moritz Riedacher Klimaaktivist

Das heißt, die Bereitschaft für Klimaziele ins Gefängnis zu gehen, ist eine bewusste Strategie, um Solidarität zu schaffen?

Riedacher: Wir können bei unserem Protest nur mit gutem Beispiel vorangehen und friedlich stören. Was das mit der Bevölkerung macht, bleibt abzuwarten. Am Ende ist das eine moralische Frage: Was wollen wir tun, um unermessliches Leid von den nächsten Generationen abzuwenden?

Vor einer Radikalisierung des Klimaprotests ist gewarnt worden. Von Klima-RAF war sogar die Rede. Gibt es innerhalb ihrer Gruppe Mitstreiter, die wirklich radikale Wege gehen wollen?

Riedacher: Definitiv kann ich sagen, dass wir uns einem Konsens verschrieben haben, der endgültig ist. Der schreibt gewaltfreies Verhalten vor. Das heißt: Wir werden weiter irritierende Protestformen wählen – wie in Museen oder auf Flughäfen. Aber wir sind eben auch mit Infoständen in Fußgängerzonen.

Nochmal zum Schluss: Kleber, Farbe – was kommt dann?

Riedacher: Ich kann nur das sagen, was schon bekannt ist und mehr weiß ich auch nicht. Wir werden Politiker weiter auf Veranstaltungen konfrontieren und versuchen, ihr Versagen in der Klimapolitik als Fehlverhalten herauszustellen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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