Justiz

Mutmaßlicher Schleuser vor Heidelberger Landgericht

Er soll 159 Menschen vor allem aus Syrien bei der illegalen Einreise nach Deutschland geholfen - und dafür 82.000 Euro bekommen haben. Dann flog er auf. Ein 43-jähriger mutmaßlicher Schleuser steht in Heideberg vor Gericht

Von 
Michaela Roßner
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Auf dem Rastplatz „Am Heideholz“ an der A 17 nahe der deutsch-tschechischen Grenze wird regelmäßig kontrolliert – auch der Angeklagte wusste das wohl. © Sebastian Kahnert

Heidelberg. Seine „Kunden“ mussten teils stundenlang zusammengekauert ohne Frischluftzufuhr im Kofferraum ausharren: Vor dem Heidelberger Landgericht muss sich ein 43-jähriger Syrer verantworten, der für den Transport von insgesamt 159 Menschen rund 82 000 Euro kassiert haben soll. Er schweigt zu den Vorwürfen.

Der Angeklagte soll als Mitglied einer international agierenden Bande in 22 Fällen Menschen vor allem aus dem deutsch-tschechischen Grenzgebiet eingeschleust haben. Seine Aufträge habe er aus der Türkei oder aus Serbien erhalten, schildert der Staatsanwalt in der Anklageschrift. Er wirft dem Angeklagten gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern sowie in sechs Fällen lebensgefährdende Behandlung vor, weil mehrere Menschen stundenlang im Kofferraum zusammengepfercht waren.

Meist habe der 43-Jährige - zum Teil mit Komplizen - illegal eingereiste Menschen von Tschechien nach Deutschland oder in die Niederlande transportiert. Im thüringischen Jena hatte er dafür ein „safe house“ eingerichtet - ein Haus, in dem die Einwanderer so lange blieben, bis der mutmaßliche Schleuser seine Provision erhalten hatte. Dass er den Auftrag erfolgreich abgeschlossen hatte, dokumentierte er seinen nicht bekannten Auftraggebern offenbar mit „Ankunftsvideos“. Eines entstand in Offenbach, dem Etappenziel einer Tour. Vier junge Männer, die müde, aber auch erleichtert wirken, sprechen in die Handykamera ihren Namen und auf Zuruf des Handybesitzers nennen sie ein Büro. „Da liegt der Verdacht nahe, dass das Video etwas mit dem Bezahlen zu tun hat“, hakt Krumme nach. „Er hat uns vorgeschrieben, was wir sagen sollen“, ergänzt der Zeuge. Ein anderer bestätigt, dass die Angehörigen daheim im genannten Büro Geld einzahlen sollten, das die Schleuser unter sich aufteilen.

Weg führt durch mehrere Länder

Die syrischen Geflüchteten wurden offenbar in drei Etappen über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn Slowenien und Tschechien eingeschleust. Dafür checkten sie in Büros in der Türkei und in Syrien ein, „ähnlich wie in einem Reisebüro, wo sie auch einen Teil der Schleusungsgebühr im Voraus bezahlten“, so der Staatsanwalt. Allein für die dritte Etappe der Schleusung erhielt der Angeklagte zwischen 650 und 1100 Euro. „Mein Vater hat insgesamt 8300 Euro für mich und noch einmal die gleiche Summe für meinen 17-jährigen Bruder bezahlt für die Schleusung von der Türkei nach Deutschland“, gibt ein Zeuge eine Vorstellung davon, wie teuer sich die Schleuser ihre Arbeit bezahlen lassen, „dazu kamen noch 2100 Dollar für jeden von uns beiden für die Strecke Syrien-Türkei“.

Dass sich der gelernte Bauschreiner nun vor dem Heidelberger Landgericht verantworten muss, liegt am Ort seiner Festnahme: Am 3. Januar 2023 war er auf der A 5 bei Sandhausen gestoppt und inhaftiert worden. Auch zuvor waren die Transporte nicht immer reibungslos verlaufen. Einmal stoppte die Bundespolizei einen Wagen, kurz nachdem er die deutsch-tschechische Grenze hinter sich gelassen hatte.

Die Personalien der Wageninsassen seien aufgenommen worden. „Wir waren etwa ein, zwei Stunden bei der Polizei. Sie hat uns zurückgeschickt“, beschreibt ein 29-Jähriger, dass er es dennoch weiter versuchte: „Wir waren zu fünft und haben am Waldrand in Tschechien gewartet, drei Männer und zwei Frauen. Dann fuhr ein Wagen vor und brachte uns nach Deutschland“, berichtet der Asylbewerber.

Am Parkplatz „Am Heideholz“ an der A17 in Bayern finden regelmäßig solche Kontrollen statt. „Der Fahrer wusste, dass nachts um 4 Uhr selten kontrolliert wird“, erzählt ein Mitfahrer. Die 22 Fahrten, für die sich der 43-Jährige nun vor Gericht verantworten musste, fanden vor allem nachts statt. Immer wieder seien auch zwei oder drei Fahrzeuge parallel gefahren, der Angeklagte soll dann vorab die Strecke auf mögliche Kontrollen geprüft haben.

Die beiden Zeugen, die am ersten Prozesstag zunächst gehört werden, können sich indes nicht erinnern, ob es der Angeklagte war, der stundenlang am Steuer des Pkw saß, mit dem sie aus Tschechien und durch Deutschland reisten. „Wer ist diese Person überhaupt?“, fragt ein 26-Jähriger in den Raum, der sich im Juli 2022 auf den Weg machte von Syrien nach Deutschland. „Wir sind zu viert nach Prag gereist. Dort kam im Bahnhof eine Person auf uns zu und sagte, wenn ihr nach Deutschland reisen wollt, habe ich jemanden für euch. Er hat telefoniert. Dann kam ein Auto, das uns mitgenommen hat.“

50 Zeugen geladen

Der Vorsitzende Richter Markus Krumme hakt mehrfach nach, fragt nach Details wie Autotyp und Größe. „Es war ein ganz normales Auto, in das vier oder fünf Personen passen“, sagt der Zeuge. „Ich saß hinter dem Fahrer. Die anderen saßen neben mir und vorne. Ich kann mich nicht mehr an den Fahrer erinnern. Er hatte eine Maske auf. Und es war nachts. Ich war krank, als ich gereist bin.“ Unterwegs habe man „zwei, drei Tage“ nichts gegessen. Den Angeklagten, fügt der 26-Jährige hinzu, sehe er hier im Gerichtssaal zum ersten Mal. Zur Hauptverhandlung an zehn Terminen sind 50 Zeugen geladen. Mit einem Urteil wird Anfang November gerechnet.

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Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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