Speyer. Es ist ganz still im Raum. Der Letzte-Hilfe-Kurs in Speyer hat gerade angefangen. Die Teilnehmer stellen sich vor. „Meine Tochter ist mit 25 Jahren gestorben, sie hatte ein Aneurysma“, sagt eine 78-jährige Frau, die deutlich jünger wirkt. Aber das sei nicht der einzige Grund, aus dem sie hier sei. Sie habe ja jetzt ein gewisses Alter, lebe in einer Seniorenresidenz und da denke sie schon übers Sterben nach.
Die Gründe für den Besuch des Kurses sind vielfältig. Einige sind aus beruflichen Gründen hier, arbeiten als Krankenpfleger oder möchten eine Ausbildung zur Hospizbegleitung machen. Andere haben Angehörige beim Sterben begleitet, möchten das Erlebte aufarbeiten. Und dann gibt es diejenigen, die damit rechnen bald Angehörige zu verlieren.
Letzte-Hilfe-Kurs: Lebensqualität erhalten und Leiden lindern
Sie alle haben eins gemeinsam: Sie möchten über das Ende des Lebens sprechen. Vorsorge treffen und sich richtig verhalten, wenn sie Familie oder Freunde in den letzten Tagen und Stunden begleiten. Vielleicht auch ein bisschen selbst die Angst vorm Sterben verlieren.
Vergleichbar mit einem Geburtsvorbereitungskurs, bei dem den Frauen die Angst vor der Geburt genommen wird - so wird hier im Kurs das Sterben vom Tabuthema zum natürlichen Gesprächsthema und verliert etwas von seinem Schrecken.„Das Wichtigste ist, Lebensqualität zu erhalten und Leiden zu lindern“, weiß Dörte Kaufmann. Dabei bedeute Lebensqualität für jeden etwas anderes.
Kaufmann leitet den Kurs gemeinsam mit Caroline Byrt. Kaufmann ist ausgebildete Pflegekraft, Byrt hat eine Kursleiterschulung absolviert. „Es ist am wichtigsten, dem Sterbenden seinen Willen zu lassen. Anzeichen zu erkennen und darauf zu reagieren“, sagt Kaufmann. Man könne einem Sterbenden zum Beispiel seine Hand anbieten.
Diese solle von unten gereicht werden. Wenn er die Hand ergreife und feshalte, solle man sie halten. Man würde merken, ob dies gewünscht sei oder nicht. Auch ob der Mensch bald sterben werde, lasse sich erkennen. „Es gibt körperliche Anzeichen dafür, dass es bald soweit ist. Die Kraft lässt nach, Schwäche tritt ein, der Mensch spricht wenig, schläft viel“, berichtet Kaufmann.
Verweigern von Essen und Trinken akzeptieren und an eine Patientenverfügung denken
Häufig möchten die Sterbenden keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Auch das sei völlig natürlich und zu akzeptieren. Ein sterbender Organismus brauche keine Nahrung mehr. „Der Mensch stirbt nicht, weil er verhungert und verdurstet, sondern er isst und trinkt nichts mehr, weil er stirbt“, weiß die Pflegefachkraft.
Die Austrocknung lindere sogar Leiden, denn sie aktiviere die Ausschüttung von schmerzlindernden Botenstoffen im Gehirn. Da Menschen, die im Sterben liegen, mit offenem Mund atmen, trocknen Mund und Lippen aus. Sie können nicht mehr schlucken. Hier können Angehörige und Freunde aktiv begleiten. Kaufmann reicht Wattestäbchen, mit denen das Durstgefühl gelindert werden kann. „Die Watte am Stielende können Angehörige in Flüssigkeit tunken und damit Mund, Lippen und Zunge benetzen oder mit Fett die Lippen bestreichen“, erklärt Kaufmann.
Letzte-Hilfe-Kurs
- Entwickelt vom Palliativmediziner Georg Bollig.
- Aufbau und Ablauf sind in ganz Deutschland gleich.
- Der Kurs hat maximal 20 Teilnehmer.
- Vier Module á 45 Minuten: 1. Sterben ist ein Teil des Lebens, 2. Vorsorgen und Entscheiden, 3. Leiden lindern, 4. Abschied nehmen
- Dieser Kurs wurde organisiert von: Bildungszentrum der Diakonissen Speyer in Kooperation mit dem Hospiz im Wilhelminenstift
Aber Angehörige oder enge Freunde könnten dem Sterbenden noch mehr Gutes tun. „Nämlich da sein, zuhören und aushalten, berühren, Musik spielen, Rituale wie singen oder beten vollziehen“, weiß Byrt. Jeder Mensch sei individuell und habe persönliche Vorlieben. Als nahe stehende Person kenne man diese meist und könne entsprechend handeln. Am besten sei es natürlich, einen klaren Willen formuliert zu haben. „Machen Sie sich Gedanken darüber“, mahnt Kaufmann. „Wie möchten Sie sterben?“
Das gelte auch für den medizinischen Aspekt. Häufig möchten sich Menschen nicht mit dem Thema Sterben auseinandersetzen und dadurch gebe es keine Patientenverfügung. Dort ist der Wille des Sterbenden festgehalten, welche Versorgung er wünscht. Dann werden die Angehörigen mit diesen Entscheidungen alleine gelassen. Möchte der Patient lebensverlängernde Maßnahmen? Wünscht er die Gabe von Morphium? „Es sterben nicht nur die anderen, wir sterben auch“, verdeutlicht Byrt, wie wichtig es ist, vorzusorgen. Auch für den eigenen Tod.
Der Mensch entscheidet selbst, wie er stirbt
Eine Kursteilnehmerin hat sich lange Gedanken gemacht, weil ihre Mutter starb, als sie kurz das Zimmer verlassen hatte. Hier können die Kursleiterinnen beruhigen: „Ob Menschen in Gesellschaft sterben oder alleine, entscheiden sie selbst. Sie ist nicht gestorben, obwohl Sie den Raum verlassen haben, sondern deswegen.“ Auch die Dame mit der Tochter, die früh starb, ist beruhigt. „Es ist gut zu wissen, dass man wenig falsch machen kann. Nach einem Jahr im Koma habe ich meiner Tochter gesagt, dass sie gehen könne. In dieser Nacht ist sie gestorben.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-letzte-hilfe-kurs-in-speyer-soll-angst-vor-dem-tod-nehmen-_arid,2254456.html