Worms. Die Inszenierungen der Wormser Nibelungenfestspiele haben von Beginn an immer auch einen Bezug zum aktuellen politischen Zeitgeist. Das ist auch in diesem Jahr so. Es herrscht mal wieder Endzeitstimmung vor dem Nordportal des Wormser Kaiserdoms. Aufgereihte Plastikstühle auf den Kieshügeln symbolisieren das Gerippe des Drachen, vor einem düster lodernden See sitzen die Burgunden und räsonieren über ihren unmittelbar bevorstehenden Untergang. Es geht diesmal also nicht nur um Gier, Macht und Vergewaltigung, sondern auch um die Zerstörung der Natur. Deshalb ist bei den obligatorischen Theaterbegegnungen am Eröffnungswochenende diesmal Carla Reemtsma zu Gast. Das Thema: Was passiert, wenn der letzte Drache getötet ist?
„Das ist ein Untergang mit Ansage“, findet Carla Reemtsma
Der Drache sei diesmal kein Ungeheuer, sondern geradezu ein weises Wesen, sagt Festspiel-Intendant Nico Hofmann. Der Drache prophezeie dem Glücksritter Siegfried sehr deutlich: Wenn du mich tötest, tötest du dich selbst. Indem Siegfried den Drachen töte, leite er somit das Ende der Welt selbst ein. „Das ist ein Untergang mit Ansage“, findet auch Carla Reemtsma, die sich das Stück angeschaut hat und ebenso den Bezug zur Umwelt und die Klimapolitik sieht, die im aktuellen Regierungshandeln so gar keine Relevanz mehr habe. Die Menschheit sei wie Siegfried im Stück nicht in der Lage, anders zu handeln, obwohl sie es besser weiß und die Folgen kennt.
Eine gigantische Ungerechtigkeitskrise
Die Klimakrise, verdeutlicht die 29-jährige Sprecherin von „Fridays for Future“, sei im Grunde eine gigantische Ungerechtigkeitskrise. Von den Naturkatastrophen würden in der Regel die armen Länder getroffen. Wer sich’s leisten könne, habe Klimaanlagen, wohne in begrünten und klimatisch begünstigten Wohngegenden. Klimaschutz sei damit ein Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sagt Reentsma.
Kritik äußert die Aktivistin an der aktuellen Regierung: „Wenn Entscheidungsträger das Thema herabstufen, führt das zu einer großen gesellschaftlichen Verunsicherung“, sagt sie. Und wenn Zweifel aktiv gesät würden, die Klimakrise und ihre Auswirkungen normalisiert würden, dann erhöhe das die Hürden, als Gesellschaft aktiv zu werden im Kampf gegen den Klimawandel. Da durch den Klimawandel nachweislich Menschen sterben, geht Reemtsma noch deutlicher mit der Politik ins Gericht: „Wer die Klimakrise nach unten dimmt, erklärt damit, dass ihm Menschenleben egal sind“. Festspiel-Regisseurin Mina Salehpour sekundiert: „Es geht nicht darum, ob es uns zu warm oder zu heiß ist. Es geht darum, dass die Polkappen schmelzen.“
Menschen sind krisenmüde und fühlen sich handlungsunfähig
Natürlich registriere die Bewegung „Fridays for Future“, dass die Menschen krisenmüde sind nach der Coronapandemie und angesichts der Kriege in der Ukraine, im Gaza-Streifen. Sie fühlten sich außerhalb jeder Handlungsfähigkeit. „Und das, obwohl ein Handeln gegen die Klimakrise am ehesten möglich ist“, sagt Reemtsma.
Als Rezepte für die Zukunft wünscht Mina Salehpur, dass Diskussionen zum Thema weniger hitzig geführt werden, die Gesprächspartner nicht gleich auf 180 sind. Alle Kommunikationskanäle offen halten. Und: „Dass die Philosophen sprechen und nicht die Populisten“.
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