Rhein - Neue Inschriften erinnern bei Worms-Rheindürkheim nun an historischen Tiefststand / Familie Müller verewigt Söhne und Enkelin / Ortshistoriker bringen Tafel an

Hungerstein hat Zuwachs bekommen

Von 
Bernhard Zinke
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Volker Müller (v.l.), sein Sohn Christian und dessen Tochter Paula mit ihren Familiensteinen. © Bernhard Zinke

Worms. Der Hungerstein im Rhein bei Worms-Rheindürkheim ist eine kleine Attraktion. Freilich nur bei Niedrigwasser. Wenn der Pegel bei Worms auf 50 Zentimeter sinkt, taucht der Granitblock aus dem Wasser auf. Unbekannte haben vor eineinhalb Jahrhunderten „ANO 1857“ hineingemeißelt. Die 13-jährigen Jungen Gerhard Butty und Helmut Schwahl ergänzten nach dem Krieg die Jahreszahl 1947 und das Wort „Hungerjahr“. Beide Jahre waren von Regenarmut und Missernten geprägt. Außerdem finden sich die Niedrigwasser-Jahreszahlen 1959 und 1963 auf dem Felsblock wieder. Der Hungerstein hat indessen Schule gemacht: Mittlerweile finden sich hier eine ganze Reihe von Gedenksteinen, die Zeitgenossen rund um den Granit hier hinterlassen haben. Die fleißigsten Freizeitsteinmetze kommen aus der Wormser Familie Müller. Mittlerweile fünf Namenssteine samt Jahreszahl haben sie hier platziert, die letzten beiden in diesen Tagen.

„Mein Opa war im Rheinbau tätig“, erzählt Volker Müller. Und schon in den 1920er-Jahren hätten die Arbeiter damals auf den Stufen zum Flussufer ihre Namen in die Steine gemeißelt. Irgendwann sei die Familie dann auf die Hungersteine aufmerksam geworden und habe beschlossen, selbst behauene Jahressteine ins Flussbett zu legen. Beim Niedrigwasser 2003 starteten die Müllers. Die Söhne Christian und Andreas verewigten sich als Erste. Zwölf Jahre später setzte Christian die Familientradition fort. 2015 bekam Töchterchen Paula seinen eigenen Stein. Und jetzt fügte die Familie Christians und Andreas’ Schwester Anna hinzu.

„Wir haben die Steine am Rheinufer geholt, nach Hause gebracht und dort bearbeitet. Danach haben wir die Brocken wieder hingelegt“, erläutert Volker Müller. Die Namen und Jahreszahlen habe man fleißig in Handarbeit mit Hammer und Meißel angefertigt.

Nun kommt die Familie bei jedem Niedrigwasser an den Rhein gefahren und schaut nach ihren Steinen, immer mit einem Schrubber im Kofferraum. Und dann wird der Sandstein von den Algen und Flechten befreit, die über die Schrift gewachsen ist. Zentimeterdick sind die Pflanzen in den vergangenen drei Jahren gewachsen. „Die Natur holt sich’s immer wieder zurück“, sagt Christian Müller.

Die Sammlung soll übrigens weiter wachsen: Beim nächsten Niedrigwasser kommen die nächsten Namenssteine dazu – mit den Namen der Schwiegerkinder drauf.

Auch der Ortsgeschichtliche Arbeitskreis Rheindürkheim ist aktiv geworden. „Viele Leute haben gefragt, ob wir nicht wieder einen Gedenkstein mit der Jahreszahl anfertigen wollten,“ erläutert Vorsitzender Oskar Ristau. Doch Hammer und Meißel blieben diesmal in der Werkstatt. Ristau hat eine kleine Platte aus Aluminium mit dem Ortsnamen und der Jahreszahl anfertigen lassen. Die dübelte er gemeinsam mit Dieter Scriba und Peter Pung auf einen Granitstein. Ob die Platte die starke Strömung des Rheins aushält? „Die wird noch meine Enkelin überleben“, ist sich Ristau sicher. Und warum keine Steingravur mehr? „Da setzt sich im Lauf der Jahre zuviel Sand und Sediment in die Schrifthinein, dass man sie gar nicht mehr wiederfindet“, erläutert Dieter Scriba, der schon 2003 die Jahreszahl in einen Stein hämmerte.

Info: Fotostrecke unter morgenweb.de/region

Niedrigwasser

Hungerstein im Rhein bei Worms

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