Haßloch. Was Pennsylvania in den USA für die Wahlforschung, das war das pfälzische Haßloch in den vergangenen 35 Jahren für die Konsumforschung in Deutschland. Was sich hier gut verkaufte, das konnte man auch in der übrigen Republik ganz gut an den Mann oder die Frau bringen. Was der Haßlocher verschmähte, das bekam der Rest des Landes erst gar nicht zu sehen. Seit 1986 stand der Ort in der Pfalz, der mit knapp 21 000 Einwohnern gleichzeitig als größtes Dorf im Staate firmiert, für das Kaufverhalten des Durchschnittsdeutschen. 2500 Haushalte verfügten hier über eine EC-ähnliche Plastikkarte, die festhielt, was der jeweilige Inhaber in den ans System angeschlossenen Supermärkten so in den Einkaufswagen packte. Wertvolle Informationen waren das für die Hersteller von Milka-Schokolade bis zur Always-Binde. Haßloch - das war in der Zusammensetzung und in der Struktur seiner Bevölkerung Deutschland im Kleinformat. Auch der Kaufkraftindex bildet den deutschen Durchschnitt ganz gut ab - bis heute.
Gesammelt wurden die in hier erhobenen Daten von der früheren Gesellschaft für Konsumforschung, die sich heute „Growth from Knowledge“ (GfK) nennt. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Nürnberg, das in den vergangenen drei Jahren einen tiefgreifenden Strukturwandel und eine erhebliche digitale Transformation hinter sich gebracht hat, verabschiedet sich nun aus dem deutschen Durchschnittsdorf und richtet sein Augenmerk zum größten Teil auf eine Smartphone-App. Familie Mustermann wohnt jetzt gewissermaßen in der virtuellen Welt. Smartscan heißt die Software, die den Konsumenten, der seinen Einkaufszettel einscannt, noch gläserner macht.
Kein Affront gegen Großdorf
Es geht jetzt nicht mehr nur allein um die Frage, wer in den vergangenen Monaten was gekauft hat, sondern es geht um Echtzeitbeobachtungen. Es geht darum, wer, was, wann, wie und warum gekauft hat. Und zu welchem Preis. Im Idealfall entsteht daraus sogar eine Prognose, was er oder sie als nächstes kauft. Es geht also in Summe darum, dass die GfK ihren Kunden, darunter viele große Unternehmen, eine Analyse des Konsumentenverhaltens nach Alter, Geschlecht und weiteren Faktoren liefern, um Wachstumsmärkte schneller zu erkennen. Durch die neuen Möglichkeiten digitaler Natur ist der Haßlocher Testkarten-Käufer in den vergangenen Jahren also immer unbedeutender geworden und GfK wurde quasi vom Marktforschungsinstitut zum Analyse-Unternehmen. Als Affront gegen die Haßlocher will Kai Hummel, Kommunikationschef bei GfK, den Rückzug aus dem Ort nicht verstanden wissen. Im Gegenteil: Wehmut schwinge mit, wenn eine solche Geschichte endet und das Büro mit fünf Arbeitskräften im Großdorf Ende des Jahres schließt. Das wird nach Aussage Hummels am 31. Dezember der Fall sein.
Hummel widerspricht auch Vermutungen, das Ende der GfK als physischer Betrieb in Haßloch hänge mit dem jüngsten Ausstieg zweier Aldi-Filialen aus dem Testmarktbetrieb und der Schließung eines Real-Marktes zusammen. Dass Filialen ausstiegen, sei in all den Jahren immer mal wieder der Fall gewesen. Zuletzt nahmen nur noch Edeka, Penny, Lidl und Rewe sowie Globus in Neustadt am Testmarkt teil.
Messung von TV-Einschaltquoten
Dass es überhaupt soweit kam, dass ausgerechnet Haßloch ins Blickfeld der Marktanalyse geriet, hängt mit rein praktischen Gründen zusammen. Haßloch war in den 80er Jahren bei einem Pilotprojekt als erste Gemeinde mit Kabelfernsehen ausgestattet worden. Damit war die Grundlage dafür geschaffen, dass sich die Konsumforscher der GfK überhaupt ins TV-Programm der Teilnehmer einschalten konnten. Auf diese Weise bekamen Testkäufer auch andere Werbung zu sehen als der Rest der Republik. Dafür wurde neben dem Fernseher eine GfK-Box platziert. Das Experiment begleitete die Haßlocher also nicht nur in den Supermarkt, sondern auch ins Wohnzimmer. Getestet wurden hier die passenden Spots zu einzelnen Produkten. Angeschlossene Menschen sahen Dinge, die vom Markt verschwanden, bevor sie überregional in Verkaufsregalen überhaupt auftauchten. Zumindest in dieser Hinsicht bleiben die Haßlocher wichtig. Denn wenn es um die Messung von TV-Einschaltquoten geht, so findet das weiterhin statt, wie Kai Hummel sagt. Ein bisschen GfK bleibt also doch irgendwie hier.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-gfk-zieht-sich-aus-dem-musterdorf-hassloch-zurueck-_arid,1869439.html