Gesellschaft

Gegen drohende Kürzungen: „Damit aus jungen Menschen keine Messerstecher werden"

Der Internationale Bund in Nordbaden stellt sich gegen massive Kürzungen bei den Jugendmigrationsdiensten. Angesichts von Flüchtlingsbewegungen und Kriegen werde ihre Arbeit immer wichtiger, sagten Verantwortliche bei einem Aktionstag in Heidelberg

Von 
Peter Jaschke
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Der syrische Musiker Nawar Habil (r.) – hier mit Tayfun Ates – konnte mithilfe des JMD in Deutschland Fuß fassen – und an der Popakademie studieren. © Peter Jaschke

Rhein-Neckar. Rüdiger Albert kämpft. Der Regionalleiter des Internationalen Bunds (IB) in Nordbaden wehrt sich mit seinem ganzen Team dagegen, dass Bundesmittel gekürzt werden - insbesondere, weil die Arbeit der Organisation angesichts von Flüchtlingsbewegungen und Kriegen auf der ganzen Welt immer wichtiger wird. Mit 92 Jugendmigrationsdiensten (JMD) bundesweit unterstützt der IB Menschen mit Migrationsbiografie zwischen zwölf und 27 Jahren bei der sprachlichen, schulischen, beruflichen und gesellschaftlichen Integration. „Obwohl unsere Arbeit immer wichtiger wird, beschneidet man uns finanziell so massiv, dass Personalabbau ansteht und teils Standortschließungen drohen“, sagt Albert beim regionalen JMD-Aktionstag in Heidelberg.

Wird genau an der falschen Stelle gespart? Das fragen sich bis zu 70 Besucher der Veranstaltung - darunter Stefan Baust, der Schulleiter der Merian-Realschule (MRS) Ladenburg. Dort läuft bereits seit 2021 das JMD-Programm „Respekt Coaches“. Es soll bei Kindern ab der fünften Klasse Respekt, Toleranz und den Abbau von Vorurteilen fördern. „Wir sind sehr froh, dass wir das haben“, sagt Baust. Demokratie lernen, soziales Lernen und Vorbeugung gegen Radikalismus seien eine „wertvolle Unterstützung“, die nicht allein die Schulgemeinschaft stärke, sondern auch darüber hinaus wirksam sei.

„Wir müssen den Unterricht dafür öffnen, weil Tendenzen zur Radikalisierung überall in der Gesellschaft spürbar sind, und da unterscheiden wir gar nicht zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund“, sagt MRS-Rektor Baust. Die Teilnahme ist für seine Schule dank der Förderung durchs Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kostenfrei. Bislang. Denn auch bei den „Respekt Coaches“, die lebensweltnahe und praktische Unterstützung leiste, damit junge Menschen ihr Leben selbstständig gestalten können, sind nach Auskunft von IB-Regionalleiter Albert „Kürzungen angedacht“.

Große Dankbarkeit für Unterstützung und Perspektiven

Auf die Arbeit des JMD hält auch Nawar Habil große Stücke: „Die Beratung in Mannheim hat mir 2016 sehr geholfen, mich überhaupt zurechtzufinden“. Der wegen des Bürgerkriegs in seiner alten Heimat Geflüchtete sagt: „Das Leben ist zerstört in Syrien.“ Heute spricht er nicht nur fließend Deutsch, sondern hat auch an der Mannheimer Popakademie studiert. Dort hat er Tayfun Ates aus Bulgarien getroffen, mit dem er das Instrumentalduo Rastraga bildet und zum Programm des Aktionstages beiträgt.

„Ich bin dankbar dafür, in Deutschland gelandet zu sein“, sagt Habil, der im Mannheimer Existenzgründerzentrum Musikpark schon Projekte geleitet hat. So bereichern den JMD-Aktionstag die wunderbar west-östlichen Klänge einer arabischen Trommel und einer Spezialanfertigung von Instrument, das sowohl syrische Laute Oud als auch E-Gitarre ist.

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kur/red
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Habil stammt aus dem Land, aus dem auch der Solinger Attentäter kommt. Das ist ein Stichwort für IB-Regionalleiter Albert: „Wir wollen, dass aus jungen Menschen keine Messerstecher mehr werden“, sagt IB-Regionalleiter Albert. Es sei auch unter diesem Aspekt eine wertvolle Arbeit, die der IB überall vor Ort leiste. „Wir versuchen den jungen Leuten Perspektiven aufzuzeigen“, sagt Albert. Extremismus früh vorzubeugen, dazu leiste auch das Bundesprogramm „Respekt Coaches“ seit seinem Start 2018 einen Beitrag.

Pädagogische Fachkräfte begegneten den Jugendlichen auf Augenhöhe und setzten ihre Arbeit gemeinsam mit Partnern der politischen Bildung an bislang rund 500 Schulen um. Da geht es um Themen, die als Übel unserer Zeit gelten, also unter anderem um Ausgrenzung, Antisemitismus, Verschwörungsideologien, Hate Speech und alle Formen von Extremismus.

„Mensch sein stärken“ - das ist das IB-Motto. Dafür ist auch Hilla dankbar. Die junge Frau war vor zwei Jahren als Au-pair aus Kenia nach Deutschland gekommen. Nachdem der Vertrag ausgelaufen war, hatte sie ihrer Gastfamilie nicht zur Last fallen wollen. „Es war für mich unmöglich, eine Wohnung zu finden, aber der JMD hat mir sehr geholfen, eine Unterkunft zu bekommen“, sagt Hilla perfekt auf Deutsch. Sie macht gerade eine Ausbildung zur Pflegefachkraft ausgebildet.

„Motivierte und gut ausgebildete jungen Menschen mit Migrationsgeschichte werden als Fachkräfte händeringend gesucht“, weiß IB-Regionalleiter Albert.

Die offene Begegnungs- und Austauschrunde in Heidelberg macht bei Musik, Tanz, Imbiss und Gesprächen überdeutlich, was der JMD leistet - auch in der Metropolregion. Es wird klar, dass es die Integrationsarbeit behindert, wenn das Geld knapp wird. „Wir dürfen Kürzungen nicht hinnehmen“, sagt der IB-Regionalleiter. Und deshalb will Rüdiger Albert weiter kämpfen.

Freier Autor Peter Jaschke ist freier Mitarbeiter seit 1997 und macht überwiegend regionale Berichterstattung, nimmt aber auch Sport- und Kultur-Termine wahr.

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