Der Prozess am Mannheimer Landgericht um Abrechnungsbetrug bei einem Pflegedienst in Ketsch biegt auf die Zielgerade. Da die einstige Inhaberin und deren Tochter - beide sitzen auf der Anklagebank - von Anfang an die Hauptvorwürfe einräumten, gestaltet sich die Beweisaufnahme zügig. Am Mittwoch sagten drei ehemalige Beschäftigte aus.
So viel steht fest: Gegenüber Krankenkassen tauchte in Abrechnungen immer dann fiktives Fachpersonal auf, wenn medizinisch verordnete Behandlungspflege, beispielsweise Katheterwechsel, nur von examinierten Schwestern beziehungsweise Pflegern ausgeführt werden darf. Die Anklage spricht von „Phantomkräften“, die zwar über eine dreijährige Qualifikation verfügen - aber gar nicht angestellt waren, sondern lediglich in den gefälschten Nachweisen genannt wurden. Zum Abschluss des Zeugenprogramms befragt das Gericht eine Krankenschwester, eine Hilfskraft und eine einstige Verkäuferin, die während ihrer Zeit bei dem (inzwischen insolventen) Pflegedienst eine einjährige Qualifikation absolviert hat. Übereinstimmend berichten die drei Frauen, dass für die Pflegedokumentation mittels spezieller App auf dem Dienstsmartphone nicht nur tatsächlich erbrachte Tätigkeiten, ob Kompressionsstrümpfe anlegen oder Medikamente richten, angeklickt wurden. Es ploppten weitere Namen samt Pflegeverrichtungen auf, bei denen ebenfalls das „Erledigt“-Häkchen gedrückt werden musste. „Dafür habe ich manchmal 20 Minuten gebraucht“, berichtet jene Krankenschwester, die meist Spättouren mit 50 bis 60 häuslichen Anlaufstellen übernahm. Die Fachkraft sagt aus, dass sie sich stets unter eigenem Namen in das Programm eingeloggt hat - was aber nicht für Kolleginnen und Kollegen ohne dreijährige Ausbildung galt. „Ich habe nie gefragt, warum das so geht“, antwortet eine aus Polen stammende Hilfskraft auf die Frage, warum ihre Anmeldung stets unter einem anderen Namen erfolgte.
Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Andreas Lindenthal will wissen, wie nicht-examinierte Kräfte intern geschult wurden - außer der Empfehlung, sich einschlägige Youtube-Lehrvideos anzuschauen. „Schon Azubis mussten alles Mögliche tun, obwohl sie von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten“, schildert die Krankenschwester. Und eine junge Frau, die zunächst als Helferin eingestellt war und später ein Jahr die Altenpflegeschule besuchte, berichtet, nach einigen Einweisungstouren „ganz schnell allein gewesen zu sein“. Sie habe gar die „Port-Tour“ übernehmen müssen - trotz ihres Einwands, dass „offene Wunden nicht mein Ding sind“ und sie von Portsystemen, also dem Versorgen implantierter Langzeitkatheter, wenig Ahnung habe. In den Befragungen geht es auch darum, dass manche Patienten oder deren Angehörige die vorgelegten Leistungsnachweise monierten und nicht unterschreiben wollten. Allerdings stand das Personal unter Druck, diese herbeizuschaffen. Jedenfalls wurde per Dienst-Chat gemahnt, dass Gehälter nur dann überwiesen werden, wenn Leistungsnachweise vollständig vorliegen.
Gerungen wird in dem Prozess über die Höhe des Betrugs: Während die Anklage von drei Millionen Euro ausgeht, beziffert die Verteidigung den Schaden auf 700 000 Euro und argumentiert, dass auch teilqualifizierte Kräfte bestimmte Verrichtungen hätten ausführen dürfen. Dazu haben die Anwälte eine Übersicht erarbeitet. Am 10. Mai soll es die Plädoyers geben.
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