Rhein-Neckar

Erfahrungsbericht einer Drillingsmutter: Ein Leben am Limit

Eltern von Drillingen haben oft keine Minute frei. Eine Mutter berichtet von ihren Erfahrungen

Von 
Jasper Rothfels
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Drillingsgeburten sind selten. Doch wenn sie da sind, haben die Eltern rund um die Uhr zu tun. © iStock

Der Schock traf das werdende Elternpaar bei der zweiten Ultraschalluntersuchung. Bis dahin hatten die beiden, die bereits Eltern von Zwillingsmädchen waren, noch einmal Zwillinge erwartet – und sich darauf gefreut. Doch bei der Untersuchung hieß es plötzlich: „Ups – da sehen wir noch etwas Drittes pulsieren“, erinnert sich Isabelle Alan, die Mutter. Für die Eltern, die heute in Edingen-Neckarhausen leben, war damit klar: Ihre achtjährigen Zwillinge bekommen Gesellschaft von Drillingen. „Das bereitet erst einmal Sorge, ganz klar“, sagt Isabelle Alan. Denn eine „höhergradige Mehrlingsschwangerschaft“ wie bei Drillingen sei immer auch eine Risikoschwangerschaft, die Kinder werden meist zu früh geboren und sind dann noch nicht voll entwickelt. Dazu kommen die Gedanken, wie es weitergehen soll. „Es gibt Fragen über Fragen“, so Isabelle Alan. Die 48-Jährige ist Vorsitzende eines Vereins, der Antworten geben will: Der ABC-Club, der sich auch „Internationale Drillings- & Mehrlings-Initiative“ nennt, feierte kürzlich in Heidelberg sein 40-jähriges Bestehen.

Kleine Auffälligkeiten im Blick

Drillinge sind selten. 202 Geburten gab es laut Statistischem Bundesamt 2021 in Deutschland, ein bis zwei sind es pro Jahr am Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer, zwei waren es 2022 am Uniklinikum Heidelberg. Hauptursache sei die künstliche Befruchtung, sagt Christian Gille, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neonatologie am Uniklinikum. Wegen zunehmend besserer Techniken sei die Rate der Mehrlinge, die auf diese Weise entstünden, aber rückläufig.

Drillingsgeburten

  • Die Geburt von Drillingen ist zwangsläufig mit mehr Aufwand verbunden als die eines „Einlings“. Das schildert die Leiterin der Abteilung Geburtshilfe im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus in Speyer, Caroline Münchbach.
  • Während bei einem Kind in der Regel Hebamme und Arzt dabei sind, sind bei den oft „zu früh“ geborenen Drillingen „auf jeden Fall pro Kind mindestens ein Kinderarzt und eine Kinderkrankenschwester“ anwesend, häufig unterstützt von weiteren Ärzten und Pflegekräften.
  • „Von Seiten der Geburtshelfer sind es in der Regel zwei Gynäkologen und auch zwei oder mehr Hebammen“.
  • Müssen die Babys auf die Intensivstation, sind sie von der Mutter getrennt. Besuch sei aber möglich.
  • Ist keine Intensiv-Betreuung mehr nötig, können die Kinder zur Mutter ins Zimmer

Wie die Kinder die frühe Geburt – ob spontan oder aus medizinischen Gründen eingeleitet – ausgleichen können, hängt Gille zufolge vom Zeitpunkt und von der Förderung ab. Große körperliche Beeinträchtigungen wie eine Hirnblutung mit anschließender Lähmung sind nach den Worten des Professors dank der Möglichkeiten der Intensivmedizin „schon sehr stark zurückgegangen“. Heute nehme die moderne Neonatologie vor allem die „kleinen Auffälligkeiten“ in den Blick, die sich etwa in einer Rechtschreibschwäche oder einer gewissen Ungeschicklichkeit zeigen könnten. Ihnen könne mit dem auch in Heidelberg angewandten Konzept der „entwicklungsfördernden Pflege“ „sehr, sehr gut begegnet werden“.

Edingen-Neckarhausen, Mutter von Drillingen, Zwillingen und eines "Einlings": Isabelle Alan aus Edingen-Neckarhausen. Die 48-Jährige ist auch 1. Bundesvorsitzende des Vereins ABC-Club e.V., auch "Internationale Drillings- & Mehrlings-Initiative" genannt. © Privat

Die Mehrlinge der Alans entstanden auf natürliche Weise. Erinnerungen der Mutter an die erste Zeit legen den Eindruck nahe: Es ist ein Leben am Limit. Man bekomme nicht drei zum errechneten Termin und damit „reif“ geborene Babys, sondern drei „Frühchen“, jedes „mit seinem Päckchen“. Ein Kind kam mit einem Atemüberwachungsmonitor nach Hause, „Trinkschwäche“ war ein Thema, einem machten Dreimonatskoliken zu schaffen. Zwischen 14 und 20 Stunden täglich sei man nur mit Füttern, Wickeln und Versorgen der Frühchen beschäftigt, so die Mutter. Und weil auch die Geschwisterkinder bedacht werden müssten, bleibe „wirklich keine Minute übrig“. Im Klartext: „Die Eltern werden von einer emotionalen, physischen, ökonomischen Stresswelle erfasst und drohen, darin unterzugehen“, zitiert die Frau eines Arztes eine Schweizer Studie aus den 1990er Jahren. Das gelte für die ersten drei Jahre. Auch Isolation komme häufig dazu.

Zugleich werde man oft „stigmatisiert durch die Gesellschaft“ und bekomme zu hören: „Ihr kriegt doch auf jeden Fall Unterstützung vom Staat und von der Krankenkasse“. Doch dem sei nicht so. Die Kasse zahle während der Schwangerschaft, vielleicht noch etwas darüber hinaus. Vom Staat komme pro Kind zwar Kindergeld, und viele Länder helfen mit niedrigen bis mittleren vierstelligen Summen. Dennoch: „Das ist eine sehr, sehr große Herausforderung“, so Alan. Der Schlafmangel führe bei vielen Betroffenen zu Krankheiten, etwa zu Depressionen. Ihr Verein fordert deshalb eine staatliche Unterstützung „ab Drillingen aufwärts“ in den ersten zwei Jahren, „um irgendwie den Alltag zu managen“. Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums sagt, Familien mit Mehrlingsgeburten würden „mit verschiedenen Leistungen und Maßnahmen“ unterstützt, etwa mit Zuschlägen zum Elterngeld. Professor Gille weist auf die Bundesinitiative „Frühe Hilfen“ hin, die im Rhein-Neckar-Kreis von einer Koordinationsstelle des Jugendamtes umgesetzt wird. Dabei geht es laut Kreis um Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebote für Familien. Besonders wichtig sei der Übergang von der oft monatelangen stationären Versorgung nach Hause, der in Heidelberg durch „Neonatalbegleiter“ unterstützt werde, so Gille. Das sind Klinik-Kräfte, die Hausbesuche machen, finanziert vom Elternverein „Das Frühchen e.V. Heidelberg“.

Haushaltshilfe für ein Jahr

Isabelle Alan kam wegen ihrer Drillinge in Kontakt mit dem ABC-Club (Darmstadt), der zum Beispiel berät, welche Kliniken empfehlenswert sind, wo man welchen Kinderwagen bekommt und wie man sich im Alltag Hilfe holen kann. Sie selbst erhielt in den ersten drei Monaten Hilfe von ihrer Schwiegermutter, managte dann die Pflege der Kinder selbst, bis sie wegen der Belastung dem Jugendamt mitteilte, sie könne nicht gewährleisten, dass sie sich um alle – vor allem um die älteren – angemessen kümmern könne. „Die haben mir dann kulanterweise für ein Jahr eine Haushaltshilfe genehmigt.“ Als die Familie die Grippe bekam und sie flach lag, zahlte die Kasse nach Krankschreibung eine Haushaltshilfe. Heute ist all das Geschichte. Die Drillinge, zwei Mädchen und ein Junge, sind 15 und Schüler. Es sei Arbeit, aber auch sehr viel Freude, so die Mutter, das wiege sich auf. Sie bekam noch eine Tochter, die heute neun Jahre alt ist.

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