Dudenhofen. Wenn schwer erkrankte Kinder vor ihren Eltern den letzten Gang antreten müssen, dann ist im Leben der Zurückbleibenden für den Moment auf einmal alles leer und ohne Hoffnung. Was in aller Welt könnte trauriger und zerstörerischer sein? Und doch gehört auch das zum Leben. An keinem anderen Ort links und rechts des Rheins kann man diesen Erfahrungen besser nachspüren als im Kinderhospiz Sterntaler in Dudenhofen, das 2009 an einer alten Mühle entlang des Woogbachs seine Heimat gefunden hat.
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Wer nur ein einziges Mal vor diesem kleinen Sterbebett im Sternenzimmer gestanden hat, in dem Geschwister und Eltern, Oma und Opa von ihren Liebsten Abschied nehmen können, der hat eine wenigstens minimale Ahnung davon, wie viele Tränen durch diesen Raum geflossen sind. Manchmal auch Tränen der Erleichterung, wenn ein schwerer Kampf endlich zu Ende ging.
"Schnupperstunde" im Kinderhospiz
Sven Weinheimer ist Ende 40. Am 5. Februar ist es genau sieben Jahre her, dass sein Sohn Simon im Kinderhospiz Sterntaler gestorben ist. Dass Weinheimer das traurige Erlebnis mit seiner Frau und den beiden älteren Töchtern so gut meistern und verarbeiten konnte, liegt an der besonderen Arbeit, die das Haus leistet. Bis heute, so erzählt er, pflege er den Kontakt zum Kinderhospiz. „Wir wurden dort erstmals ansatzweise verstanden“, erinnert sich der Betriebswirtschaftler, der mit seiner Familie einige Kilometer südwestlich von Speyer lebt. Anfangs, so gesteht er, hielt er das vom Kinderhospiz angebotene Schnupperwochenende für eine ziemlich unsinnige Idee. „Ein Schnupperwochenende an einem Ort, wo Kinder sterben?“, fragte er. „Die spinnen wohl“, waren seine ersten Gedanken.
Betreuung auch nach dem Tod
Heute denkt er anders und fragt sich, warum die Einrichtung noch immer nicht allen medizinischen Organisationen in der Region ein Begriff ist. Nach der ersten Untersuchung Simons im Sommer 2013 an der Uniklinik in Heidelberg hätte er sich im Rückblick einen Hinweis auf das Kinderhospiz in Dudenhofen gewünscht. Simon werde vielleicht nur noch ein Weihnachten erleben, hieß die Prognose. Er starb schließlich im Alter von vier Jahren 2017.
In der Zeit in Dudenhofen ab 2015 sei endlich auch mal wieder Zeit für Simons ältere Schwestern gewesen, weil die Pflege des Jungen für einige Stunden von Fachpersonal übernommen worden sei. Zuvor sei das Leben für ihn und seine Frau ein Drei-Stunden-Takt gewesen, erinnert sich der Vater. „Die Betreuung beginnt dort weit vor dem Tod und endet erst lange danach“, sagt Weinheimer über das Kinderhospiz. Er spricht etwa auch von pädagogischer Trauerbegleitung für Simons Geschwister. Bis heute reißt das Band nach Dudenhofen nicht ab.
364 Patienten bis zum Tod begleitet
Das Gebäude, das auch mal Gastronomiebetrieb war, gehört seit 2009 zu den nur 18 Häusern in Deutschland, in denen ausschließlich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zum Alter von 27 Jahren die letzten Tage ihres Lebens so würdevoll wie eben möglich erleben. Inzwischen ist das Kinderhospiz Sterntaler zu einem der bedeutendsten und am meisten beachteten Einrichtungen in der Metropolregion geworden. 364 Menschen haben Anja Hermann und ihr heute rund 50-köpfiges Team in den vergangenen 15 Jahren auf ihrem letzten Weg begleitet. Sie haben große Wunder, aber auch kleine Enttäuschungen erlebt. Und manchmal auch geweint.
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Hermann, eine Mannheimerin, ist seit dem Tod der Initiatorin Ursula Demmer im Jahr 2015 auf Wunsch des Vorstands Geschäftsführerin dieser Einrichtung, für die es kein Vorbild gab - nicht in Rheinland-Pfalz, nicht in Baden-Württemberg. Das Haus steht auf zwei Säulen. Zum einen geht es um die so genannte Entlastungspflege, die Familien wie den Weinheimers nach Monaten und Jahren des permanenten Kampfes einige Ferientage ermöglicht. Und dann ist da die palliative Versorgung, die den Eltern und Geschwistern Gelegenheit gibt, sich in einer sehr rücksichtsvollen und achtsamen Umgebung auf den bevorstehenden Tod vorzubereiten.
"Sterben als Teil des Lebens"
„Wir begreifen das Sterben als einen Teil des Lebens“, heißt es im Leitbild von Sterntaler. Ursula Demmer war selbst Mutter dreier Kinder und trieb seit dem Beginn der 2000er Jahre den Gedanken eines stationären Hospizes voran. Anfangs suchte der in Mannheim ansässige Verein nach einem geeigneten Platz in und rund um die Quadratestadt. Fündig wurden die „Sterntaler“ schließlich 2007 in Dudenhofen auf pfälzischer Seite. Als das Haus 2009 seinen Betrieb aufnahm, da war ein wichtiger Grundstein aber schon fünf Jahre gelegt. Denn bereits seit 2004 - seit 20 Jahren - kam der Verein der wachsenden Nachfrage nach häuslicher Kinderkrankenpflege in der Metropolregion Rhein-Neckar nach.
Hospiz auf Spenden angewiesen
Anja Hermann berichtet von aktuell 127 Mitarbeitern im gesamten Unternehmen - und sie erzählt vom Mangel an Personal. So könnten beispielsweise derzeit nicht alle acht Hospizbetten belegt werden, weil Pflegekräfte schlicht fehlten. Linnford Nnoli, auch Mannheimer, ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Und so sehr es sein Job ist, das liebe- und aufopferungsvolle Handeln aller Akteure im Kinderhospiz in den Vordergrund zu stellen, so notwendig ist auch die Feststellung, dass es Millionen Euro kostet, um eine solche Einrichtung zu betreiben.
„Ein Hospiz wird nie schwarze Zahlen liefern“, weiß Anja Hermann. Rund 800 Euro zahlen Krankenkassen für ein Kinderbett in Dudenhofen pro Tag. Damit seien bei Weitem nicht alle Kosten gedeckt. Angewiesen sei Sterntaler viel mehr auf 1,3 Millionen Euro Spenden pro Jahr, um den Betrieb zu gewährleisten. Vor einiger Zeit hat Sterntaler ein Nachbarhaus der Mühle erwerben können, um Übernachtungen von bis zu sechs Eltern anbieten zu können. Eine große Investition.
Botschafter: Aphaville, Fußballprofis, Riding Santas
Viele prominente Botschafter von der Band Alphaville über den pfälzischen Fußballprofi Dominique Heintz bis zur Motorradgruppe „Riding Santas“ unterstützen Sterntaler durch regelmäßige Benefizaktionen. „Treue Wegbegleiter“, nennt Linnford Nnoli diese Freunde. Der Atmosphäre könne sich kaum jemand entziehen, so Nnoli, der gerne die Geschichte erzählt, wie sich Handwerker spontan einem Spalier für einen bemalten Kindersarg vor der Türe angeschlossen hätten. Der traurigste Ort? Vielleicht. Aber auch einer voller Würde und Trost.
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