Missbrauch - Heimkind Konrad O. berichtet über hundertfache Vergewaltigungen während seiner Jugendzeit durch den Prälaten Rudolf Motzenbäcker im Bistum Speyer

Die Hölle in der Engelsgasse

Von 
Stephan Alfter
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Im Alter von sechs Jahren bei der Einschulung: Konrad O. in Speyer. © privat

Speyer. Die Rede ist von hundertfachem Missbrauch: Das genaue Ausmaß des Skandals, der vor rund 50 Jahren in Steinwurfweite zum Speyerer Dom stattgefunden haben soll, ist eine Woche nach Bekanntwerden des Schicksals von Konrad O. (Name von der Redaktion geändert) nur schwer zu erahnen. Aufklärung ist bislang auch von damaligen Würdenträgern nicht zu erwarten: So ließ der frühere Bischof von Speyer (1968 bis 1982) und spätere Münchner Kardinal Friedrich Wetter – der 92-Jährige lebt in einem Seniorenheim in München – am Mittwoch gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur (KNA) erklären, er könne er sich nicht vorstellen, dass sein Generalvikar Rudolf Motzenbäcker während seiner Amtszeit Sexparties organisiert habe. So habe er ihn nicht kennengelernt.

Davon jedoch geht der heutige Bischof Karl-Heinz Wiesemann aus, der die Geschichte in einem Interview mit der Bistumszeitung „Der Pilger“ vor einigen Tagen öffentlich gemacht hat, bevor es andere getan haben. Das Bistum wolle nähere Untersuchungen einleiten über die Zeit zwischen 1963 und 1972, jene Periode in der Konrad O. im Kinderheim in der Engelsgasse litt.

Odenwaldschule gab Ausschlag

Das Opfer, inzwischen 63 Jahre alt, leidet bis heute derart unter den Jahren des Missbrauchs in Speyer, dass er sie bis ins Jahr 2010 einfach verschwieg. Als zu dieser Zeit die Skandale an der Odenwaldschule öffentlich wurden, kam in ihm alles wieder hoch, wie er am Donnerstag in einem ausführlichen Gespräch gegenüber dieser Zeitung schilderte: Missbrauch, Demütigung, Körperverletzung – hundertfache Vergewaltigungen. Seiner Darstellung nach verübt von einem der höchsten Kirchenvertreter des Bistums Speyer in den 1960er und 70er Jahren – eben Rudolf Motzenbäcker. Aufgeschrieben hat Konrad O. dies alles seit längerer Zeit auf einer von ihm betriebenen Internetseite. Nur: Geglaubt hatte ihm längere Zeit niemand.

Angefangen habe der systematische Missbrauch demnach im Alter von zehn Jahren. Konrad O. war da gerade Messdiener im Dom geworden. Auch dazu habe man ihn gezwungen. Prälat Rudolf Motzenbäcker sei sein Beichtvater gewesen. Er habe ihn mit in seine Wohnung genommen und sei anal und oral in ihn eingedrungen. Dabei habe er auf seiner Kniebank knien müssen. Es sei immer ein Vorwand gesucht worden, damit er zu ihm kommen musste. Die Nonnen hätten ihn „regelrecht hingeschleppt“. Irgendwann habe er die Gegenwehr aufgegeben und alles über sich ergehen lassen. Genau erinnert sich O., wie die Ordensschwestern ihn aus dem Kinderheim der Engelsgasse über den großen Domplatz bis in das Wohnhaus von Motzenbäcker links des Doms geschleppt hätten. Manchmal seien zu Motzenbäcker noch andere Priester dazugekommen. Sogar von Politikern und Geschäftsleuten berichtet O. Einmal hätten ihn drei Priester auf einmal missbraucht. Alle seien oral und anal in ihn eingedrungen und hätten „ihre Sexspielchen“ mit ihm gemacht, schildert er Szenen, die an Orgien erinnern. „Die haben Mädchen und Jungs fast totgevögelt“, beschreibt er seine Erinnerungen an den Prälaten, der 1998 starb. Dass ihn das Wimmern der Vergewaltigten bis heute verfolge, glaubt ihm auch Andrea Herrmann, Richterin am Damstädter Sozialgericht. Sie hat seiner Klage auf Hilfen nach dem Opferentschädigungsgesetz stattgegeben und Konrad O. ein wenig Vertrauen in die Justiz zurückgegeben. „Die Hochrangigkeit des Täters und das Ausmaß der Taten“ machen für sie die Vorgänge noch bedeutender.

Tod eines Mädchens?

Keine Belege sind bis heute aber für einen Verdacht erbracht, den Konrad O. ebenfalls formuliert. Nämlich die Annahme, dass ein nach einer Vergewaltigung schwangeres Mädchen 1970 getötet worden sei, weil Verantwortliche Angst hatten, sie würde reden. „Ich musste sie auf dem Speicher vom Balken schneiden“, erinnert er sich. Es sei kein Selbstmord gewesen, wie es damals dargestellt worden sei.

Die Darmstädter Richterin sagt, dass das heute kaum mehr nachprüfbar sei. Der Fall sei an die Staatsanwaltschaft Frankenthal gegangen, wo man aber keine Anhaltspunkte für einen Mord sah. Trotzdem haben Gutachter während der Verhandlung festgestellt, wie sehr dieses Erlebnis Konrad O. geprägt hat. 1200 Kapseln des Antidepressivums Tofranil habe man ihm später an 230 Tagen verabreicht, sagt Konrad O. „Die wollten mich ruhigstellen.“

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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