Porträt

Der Erklär-Bär aus der Pfalz

Wie der 35-jährige Bad Dürkheimer CDU-Abgeordnete Johannes Steiniger auf Tik Tok, Instagram und Facebook für seine Politik wirbt - und nebenbei die AfD diskreditiert

Von 
Stephan Alfter
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Neustadt/Speyer/Bad Dürkheim. Als auf dem Instagram-Profil der damaligen @Bundeskanzlerin am 12. April 2021 eine Schale mit einigermaßen vertrockneten Datteln auftauchte und Angela Merkel die Muslime in Deutschland zum Beginn des Fastenmonats Ramadan grüßte, da war auf dem Kanal, den das Bundespresseamt betrieb, plötzlich ganz schön Betrieb. Fast 300 000 Menschen drückten auf das Herz und zeigten damit einerseits, wie sehr ihnen die Nachricht gefällt, und andererseits, welche Kraft in solch kleinen Botschaften stecken kann. Kein anderer Post eines Spitzenpolitikers hatte im vergangenen Jahr bis dahin so viele Reaktionen erhalten. Und das ganz ohne den großen politischen Inhalt.

© Tiktok-Screenshot

Mit solchen „Like“-Zahlen und Zustimmungswerten kann der pfälzische CDU-Abgeordnete Johannes Steiniger bei seinen Postings freilich noch nicht hausieren gehen. Er hat schließlich nicht den Bekanntheitsgrad einer Kanzlerin. Fest steht aber: Was seine Auftritte in Social-Media-Portalen wie Instagram, Tik Tok und Facebook anbelangt, macht ihm im Deutschen Bundestag kaum jemand etwas vor. Im Rhythmus weniger Tage dreht er Videos von seinen Aktivitäten, erklärt Politik in einfachen, aber pointierten Worten, schneidet Beiträge, die zeigen, welche Auswirkungen Entscheidungen in Berlin auf das Leben in der Pfalz haben. Gerade war er wieder auf seiner alljährlichen Tour bei 25 Betrieben im Wahlkreis, wo er gerne mitarbeitet. Da gibt es dann auch mal einen Ölwechsel vom Bundestagsabgeordneten im Waldseer KFZ-Betrieb Regenauer. Nah bei den Leuten zu sein - das lebten in der Pfalz schon Kurt Beck und Helmut Kohl vor.

Zehntausende folgen ihm

Der 35-jährige Steiniger ist darüber hinaus ein wahrhaftiger Erklär-Bär. Dabei helfen ihm sein vorheriges Studium und seine frühere Tätigkeit als Lehrer für Mathematik und Sozialkunde. „Es ist viel Aufwand, aber ich profitiere ja auch davon“, sagt er über sein tägliches Bemühen, Inhalte aus Berlin so gut wie möglich ins Pfälzische zu „übersetzen“. Und: Er ist einer, der sich gerne in diese digitale Technik einarbeitet. Wer sich mal durch alle Möglichkeiten eines Instagram-Reels geackert hat, der weiß, wovon er spricht. Steinigers Reichweite steigt zusehends und er schafft es, eine Klientel anzusprechen, die in der Politik nicht zuallererst daheim ist. „Ich streite mich gerne“, sagt er über anstrengende Wortwechsel.

Was ist Tik Tok?

Tik Tok ist eine kostenlose App, die schon seit sechs Jahren existiert. Sie stammt ursprünglich aus China, wo sie weiterhin unter dem Namen „Douyin“ existiert. Tik Tok hieß in den westlichen Ländern zunächst musical.ly. Im Jahr 2018 wurde sie in Tik Tok umgetauft.

Es handelt sich bei TikTok um ein soziales Netzwerk, ähnlich wie Instagram. Hier geht es jedoch weniger um Bilder, als um selbst produzierte Videos. Sie sind oft mit Musik oder mit anderen Tonsequenzen unterlegt. Oft wird mitgesungen oder getanzt. Immer öfter werden News-, Fashion-, und Comedy-Clips transportiert.

Im Sommer 2020 wollte Donald Trump TikTok in den USA verbieten – angeblich wegen mangelnden Datenschutz des chinesischen Unternehmens. Inzwischen hat sich die Situation entspannt. sal

„Seit einigen Monaten sprechen mich Kollegen im Bundestag auf meine Aktivitäten an“, registriert er. Eines seiner Videos auf Tik Tok erreichte in diesem Jahr 2,4 Millionen Menschen. 172 000 Likes bekam er für eine Rede im Bundestag zu den sich anbahnenden Krisen im zweiten Halbjahr. 30 000 Nutzer folgen ihm mittlerweile auf Tik Tok, knapp 6000 sind es auf Facebook und ebenso viele auf Instagram.

Zum Vergleich: Die Mannheimer Bundestagsabgeordneten Melis Sekmen (Grüne) und Isabel Cademartori (SPD), die vom Portal Abgeordnetenwatch.de gerade - wie Steiniger auch - eine (wenig aussagekräftige) 1,0 für ihre Kommunikation mit Wählern erhalten haben, vereinen auf Instagram zusammengenommen weniger Follower. Die Stammtisch-Mär vom faulen, aber reichen Politiker - sie gilt hier nicht, denn Steinigers Tage dauern nicht nur während dieser Sommertouren meist von morgens um 7 Uhr bis abends 22 Uhr. Zusätzlich zu den vielen Veranstaltungen, Sitzungen und seinen Bürgersprechstunden gibt es noch die eigentliche Kärrner-Arbeit - das Einarbeiten in Gesetzestexte und Gesetzesinitiativen. Als Mitglied im Finanzausschuss und Ansprechpartner für Kryptowährung und Bankenregulierung beackert er zudem ein komplexes Feld.

AfD-Mitglieder entlarvt

„Tik Tok macht mir gerade am meisten Spaß“, sagt der Dürkheimer, der just zum ersten Mal Vater geworden ist. Dabei ist Tik Tok eigentlich eher für skurrile Clips bekannt - und für vergleichsweise junge Konsumenten. Für ihn sei das Netzwerk wie ein „Frühwarnsystem“. Dinge, die dort auftauchten, seien wenige Wochen später Thema am Stammtisch. „Zum Affen“ will sich Steiniger dort nicht machen. Es geht ihm um politische Inhalte und darum, eine kurze Geschichte zu erzählen. Neudeutsch heißt das Storytelling und es ärgert den CDU-Mann, dass ausgerechnet die AfD dort viele Menschen erreicht. „Die AfD hasst Deutschland“, hat er vor einigen Tagen Stellung bezogen, als er ein Video verbreitet hat, das einige AfD-Frakionsmitglieder entlarvt. Bei nicht ausgeschaltetem Mikrofon erzählen diese von der Hoffnung, dass es die Deutschen hinsichtlich der Energiekrise in diesem Winter richtig schlimm erwischt. Das könne für die AfD ja nur gut sein, folgern sie. Steiniger postete es - und die „Bild“ sprang drauf.

© Screenshot-Tiktok

Nach neun Jahren ist Lehrer Steiniger schon ein alter Hase im Parlament. Im Alter von 26 schaffte er 2013 den Sprung ins hohe Haus - damals recht überraschend in den Morgenstunden über die CDU-Liste in Rheinland-Pfalz. Im vergangenen Jahr sicherte er sich im Wahlkreis Speyer-Neustadt zum zweiten Mal das Direktmandat - nachdem er zuvor nach eigenen Angaben mehr als 8000 Hausbesuche absolviert hatte. Seit Januar sitzt er im Bundesvorstand der CDU. Als er sechs Monate vor der Bundestagswahl im März 2021 empfahl, auf Markus Söder und nicht auf Armin Laschet als Kanzlerkandidaten zu setzen, war er einer der Ersten. Was seine Laufbahn anbelangt, so ist er recht gelassen. Eine Politiker-Karriere sei nicht planbar Da hänge viel von Glück ab. Man möchte hinzufügen: Und von der richtigen Inszenierung in den Netzwerken - vielleicht auch mit Datteln.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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