Heidelberg. Er ist einer der ältesten Teile des Heidelberger Schlosses: Den sogenannten Fassbau lässt Pfalzgraf Johann Casimir, Administrator der Kurpfalz von 1588 bis 1593, 1589 an der Neckarseite des Schlosses errichten. Er besteht aus zwei übereinanderliegenden, gewölbten Sälen. Im Keller des Gebäudes wird 1591 ein riesiges Fass eingebaut, in dem 130.000 Liter Zehntwein aus der Pfalz gesammelt werden. Dieses ursprüngliche Große Fass fällt den Wirren des Dreißigjährigen Krieges zum Opfer. Nach dem Krieg lässt Kurfürst Karl Ludwig, der von 1648 bis 1680 regiert, 1664 ein neues, wesentlich größeres Weinfass aus Eichen vom Königstuhl sowie Wäldern der Region zimmern – 197.000 Liter fassend.
Aber solch ein Fass hält ja nicht ewig dicht. Also gibt knapp 100 Jahre später, 1751, Kurfürst Carl Theodor, der längst schon im Schloss Mannheim residiert, das heutige dritte Große Fass in Auftrag. Gefertigt wird es aus ungefähr 90 Eichen aus den Pfälzer Wäldern. 220.000 Liter Wein finden hier angeblich Platz, genau weiß man das aber nicht, denn alten Chroniken zufolge ist es nie richtig dicht und schon ab 1769 nicht mehr in Gebrauch. Die Dilsberger Feuerwehr hat sich zwar zum 1. April 1997 ablichten lassen, wie sie das Behältnis mit dicken Schläuchen wieder füllt – angeblich mit Wein, der kostenlos abgegeben wird, und um das Fassungsvermögen genau festzustellen. Aber das ist nur ein Aprilscherz.
Wein per Leitung in den Königssaal pumpen
Neben dem Fassbau steht der Frauenzimmerbau aus der Zeit um 1515 – benannt nach den Wohnräumen der Hofdamen in den oberen Stockwerken. Im Erdgeschoss befindet sich der Königssaal, der große Festsaal von Schloss Heidelberg. Sehr praktisch: Bei Festen kann der Wein zur Zeit der Kurfürsten über eine Leitung direkt aus dem Großen Fass in den nebenan gelegenen Frauenzimmerbau und damit in den Königssaal gepumpt werden. Über dem Fass befindet sich eine Plattform, die man über eine Treppe erreichen kann: Vermutlich ist hier getanzt worden.
Bis heute hält eine bemalte Holzfigur Wache über das Große Fass: der kleinwüchsige Perkeo, der Hofnarr. Berühmt ist seine Trinkfestigkeit, um die sich so manche Anekdoten ranken. Außerdem ist er als Mundschenk für die kurfürstlichen Weinvorräte verantwortlich. Engagiert hat ihn der letzte in Heidelberg residierende Kurfürst Carl Philipp. Dieser letzte Vertreter der Wittelsbacher Linie Pfalz-Neuburg wird am 4. November 1661 in Neuburg an der Donau geboren, als siebtes von 17 Kindern von Kurfürst Philipp Wilhelm von der Pfalz (1615-1690). Carl Philipps erste Frau, Luise Charlotte von Radziwill, stirbt 1695, sieben Jahre nach der Hochzeit. Die zweite Frau kommt 1712, wie die gerade erst geborene Tochter, im Kindbett um.
Noch ganz in Trauer, soll Carl Philipp in Innsbruck Perkeo erstmals kennengelernt haben. Ein Hofbeamter berichtet ihm von einem besonders trinkfesten, zu Späßen aufgelegten Zwerg. Bei einem Wetttrinken mit dem Herrscher kann der ihn aufmuntern und sehr gut mithalten, was Carl Philipp enorm beeindruckt. Schon beim ursprünglichen Namen des kleinwüchsigen Mannes scheiden sich aber die Geister. Meist wird er Clemens Pankert genannt, andere Quellen sprechen von Giovanni Clementi. Übereinstimmend ist dann wieder das Geburtsjahr: 1702 in Salurn, Südtirol. Auch als Beruf wird er stets als Knopfmacher bezeichnet.
Insgesamt gebe es „leider viele Legenden und wenig Belastbares“, sagt Uta Coburger, für das Heidelberger Schloss zuständige Konservatorin der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg: „Da treffen realitätsnahe Darstellung auf die damalige Faszination für das Kuriose, vor allem für Missbildungen, Kleinwüchsigkeit, die man in den vielen Darstellungen erkennt“, so Coburger. Hofnarren, schon seit der Antike bei den Römischen Kaisern und vornehmlich ab dem Mittelalter üblich, „mussten aber nicht kleinwüchsig oder missgestaltet oder geistig beeinträchtigt sein“, unterstreicht sie. Wichtig sei einfach die Unterhaltung gewesen, „die die strenge zeremonielle Etikette durchbrach“. Manche Hofnarren hätten dem Herrscher den Spiegel vorhalten und ihn foppen, aber gleichzeitig nicht ernsthaft verärgern dürfen. „Sie konnten auch mal unschöne oder sarkastische Wahrheiten sagen, was dem normalen Höfling nicht zustand“, so Coburger. Dabei habe der Hofnarr eine ähnliche Funktion als „gesellschaftliches Ventil“ wie die Karnevalsmaskeraden, die auch erlaubten, der Obrigkeit eine lange Nase zu drehen. Von Perkeo sind kritische Äußerungen nicht überliefert, nur witzige Schlagfertigkeit und Trinkfestigkeit. Aber sicher sei: „Er hat gelebt, er ist keine Erfindung!“, betont sie – wenn auch manche Jahreszahl, manches Detail nicht genau durch Quellen verbürgt ist.
Schon in Innsbruck hat Carl Philipp den kleinwüchsigen Mann mit großer Lebensfreude gleich verpflichtet, zum Hofnarren und Kellermeister im Range eines Kammerherrn ernannt. Er wird mit einer farbigen Uniform und einer Perücke ausstaffiert, erhält statt eines Degens einen riesigen Kellerschlüssel, nach anderen zeitgenössichen Schilderungen und einem Gemälde im Heidelberger „Kurpfälzischen Museum“ auch einen überdimensionalen Fantasieorden.
Kleiner Mann mit großem Durst
Auf die Frage, ob er noch einen Becher Wein leeren wolle, soll Perkeo stets in Italienisch geantwortet haben: „Perché no?“, sprich „Warum nicht?“. So habe der nur 1,10 Meter große Hofnarr seinen berühmten Künstlernamen erhalten, zitiert Coburger aus alten Unterlagen. Perkeos Scherze hätten den Regenten und die höfische Gesellschaft entzückt, andererseits hätte er „die Hofgesellschaft ziemlich auf Trab gehalten und verspottet“, so Coburger. Mit dem Lied „Das war der Zwerg Perkeo, im Heidelberger Schloss. An Wuchse klein und winzig, an Durste riesengroß“ hat der Karlsruher Schriftsteller und Liedautor Joseph Victor von Scheffel (1826-1886), auch bekannt für „Alt Heidelberg Du feine“, ihm ein musikalisches Denkmal gesetzt. „War’s drunten auch stichdunkel, ihm strahlte inneres Licht, und wankten auch die Beine, er trank und murrte nicht“, so Victor von Scheffel über Perkeo.
Zuvor hat schon der französische Schriftsteller Victor Hugo 1840 nach einem Besuch des Heidelberger Schlosses geschrieben: „Wenn man in dem Schatten des großen Fasses dahingeht, bemerkt man plötzlich hinter den stützenden Bohlen eine eigenartige Gestalt aus Holz, auf die eine Öffnung in der Mauer einen fahlen Lichtschimmer fallen läßt. Man könnte sagen, es ist ein kleiner, lustiger Alter, grotesk aufgeputzt“, schildert er das Denkmal für den Hofnarren: „Perkeo war sein Name. Er maß drei Fuß sechs Zoll, wie sein Standbild, unter dem sein Name steht. Täglich trank er fünfzehn doppelte Flaschen Rheinwein. Darin lag seine Stärke“, so Victor Hugo.
Dass indes Perkeo wirklich das Große Fass in einem Zug austrinken konnte, scheint sehr unwahrscheinlich. Als sich der katholische Kurfürst Carl Philipp 1720 mit dem calvinistischen Oberkirchenrat von Heidelberg über die Nutzung der Heilig-Geist-Kirche verkracht, verlegt er die Residenz kurzerhand nach Mannheim und beginnt hier mit dem Bau des Schlosses. Doch da er quasi über Nacht Heidelberg den Rücken kehrt, bezieht er als Interimsresidenz das Palais Oppenheimer in R·1 am Marktplatz. Platz für einen großen Hofstaat ist da nicht. Also bleibt Perkeo in Heidelberg, als erfahrener Betreuer der kurfürstlichen Weinfässer, und das noch 15 Jahre lang. 1735 soll er im Alter von 33 Jahren gestorben sein, der Legende nach, weil er wegen einer Unpässlichkeit ein Glas Wasser anstatt Wein trinkt und sich so mit der Ruhr ansteckt.
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