Frankenthal. Es ist erneut eine Tat, die einem die Luft zum Atmen nimmt, die seit Montag am Landgericht Frankenthal verhandelt wird: 97 Messerstiche haben in Ludwigshafen nach einer Nacht des Alkohol- und Drogenexzesses am 8. Mai 2022 zum Tod eines 32-jährigen Mannes geführt. Wie viel davon war Notwehr des mutmaßlichen Täters und wie groß war die Besinnungslosigkeit des 24-jährigen Beschuldigten, der im Verlauf des Prozessauftakts angibt, seit seinem zwölften Lebensjahr Alkohol, Cannabis, Amphetamine, Kokain und Crack in immer höheren Dosen konsumiert zu haben? Mehr als 1000 Euro pro Monat habe er allein in Kokain gesteckt.
Der Angeklagte, der im Alter von fünf Jahren zunächst mit seiner Familie aus Marokko nach Spanien übersiedelte und 2017 nach Deutschland kam, wird am Montag um kurz vor zehn Uhr in einem gebügelten blauen Hemd von zwei Justizbeamten in Handschellen in Sitzungssaal 20 geführt. Ein kurzer Blick zu seinen älteren Schwestern und seinem Bruder, die im Zuschauerraum sitzen. Ansonsten scheint A. in sich gekehrt und doch nervös, als er seinen Mannheimer Verteidiger Günter Urbanczyk begrüßt, der später eine Erklärung verlesen wird, in der A. die Tat aus seiner Erinnerung beschreibt, gesteht und sich bei der Lebensgefährtin und deren Sohn entschuldigt.
Erst zusammen Crack geraucht
Was genau sich in den Morgenstunden der Tatnacht zwischen 2 Uhr und dem Tod des Drogenhändlers um 7.30 Uhr abgespielt hat, ist nach Aussage des Vorsitzenden Richters Karsten Sauermilch nicht minutiös nachzuvollziehen. Schließlich seien nur Täter und Opfer in der Wohnung gewesen. Nur Indizien also - keine Beweise. Vor der Tat will A. den Abend gemäß der Erklärung seines Verteidigers mit anderen Leuten verbracht haben. Vor und nach dem Abendessen gab es demnach vier große Biere, dann Whisky.
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Beim späteren Opfer, seinem Nachbarn, will er seiner Einlassung zufolge gegen 2 Uhr Drogen gekauft haben. Überhaupt gibt er viel Geld für Drogen aus. Das leiht er sich seiner Aussage nach immer wieder von Familie und Freunden, die ihn oft ermahnen aufzuhören. Als Auszubildender in einem Ludwigshafener Pflegeheim verdient er vergleichsweise wenig. In dieser Nacht bleibt er nach dem Drogenkauf mit dem Nachbarn zusammen. Man raucht gemeinsam Crack und überlegt sich mit fortschreitendem Konsum zunächst, eine Prostituierte zu kontaktieren, um Sex zu haben. Offenbar aus Geldmangel entscheidet man sich dagegen. Das spätere Opfer soll den Schilderungen des Angeklagten zufolge dann die Forderung formuliert haben, der Marokkaner solle seine Schwester holen. Er wolle Sex mit ihr haben. Darüber eskaliert die Diskussion, als A. sauer wird, der Drogenhändler jedoch auf seiner Forderung beharrt.
Die Anklageschrift, die Staatsanwalt Stephan Herwich verliest, erwähnt sogar, dass es den Wunsch des späteren Opfers nach gleichgeschlechtlichem Verkehr gegeben haben soll. Was der exakte Grund dafür war, dass der 32-Jährige aus der Küche letztlich ein 23 Zentimeter langes Messer holt, bleibt noch diffus.
Todeszeitpunkt 7.30 Uhr
Jedenfalls sagt der Staatsanwalt, dass der Angeklagte zunächst verletzt worden sei. Diesem sei es dann aber gelungen, dem Besitzer das Messer zu entreißen und seinerseits zuzustechen, was beim Opfer zu 97 unterschiedlichen Verletzungen geführt habe. Da war es bereits 7 Uhr morgens. Der Todeszeitpunkt durch Verbluten wird mit 7.30 Uhr angegeben. Da hat A. das Messer bereits auf einem Tisch in der gegenüberliegenden Wohnung abgelegt. Er duscht und berichtet seiner Schwester, was geschehen ist. Sie solle die Polizei informieren.
Richter Sauermilch gibt nach der Einlassung einen Ausblick, was in den nächsten Zusammenkünften folgt. Wie ist im Hinblick auf die Bestrafung beispielsweise die Schuldfähigkeit des Drogenabhängigen zu bewerten, der schon mal in einer Entwöhnungsklinik war? Auf die Befragung von bis zu 80 Zeugen könne in Teilen verzichtet werden, wenn sich Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung auf eine Vorgehensweise einigen könnten. Dabei solle nicht der Eindruck entstehen, dass etwas „gedealt“ werde, so Sauermilch. Haft und Therapie könnten später zusammen einhergehen - und sich insofern positiv auf das jahrelange Strafmaß auswirken.
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