Metropolregion. Wer erinnert sich noch an Ernte 23? Einst ein in Deutschland verbreiteter Glimmstängel, der in fast jedem Zigarettenautomaten vertreten war und heute nur noch ganz unten links in der Auslage einiger gut sortierter Tabakgeschäfte zu finden ist. Ähnlich bescheiden wie die jüngere Geschichte dieser Marke liest sich die Bilanz der Ernte des Jahres 2023. Die Landwirte stöhnen über neue Phänomene und teils dramatische Vorgänge.
Trockenheit: Seit 12. Mai mancherorts kein Regen
Der Klimawandel und die damit einhergehenden Wetterextreme wie Dürreperioden und Starkregen beeinflussen die moderne Landwirtschaft links und rechts des Rheins in diesen Wochen stärker als jemals zuvor. Mancherorts ist seit dem 12. Mai dieses Jahres kein einziger Tropfen Wasser mehr vom Himmel gefallen.
Das hat nicht nur Folgen für die Erntemengen und deren Qualität, wie Eberhard Hartelt, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd, am Donnerstagvormittag anlässlich eines Gesprächs mit Journalisten ausführte. Er nannte gleich mehrere Faktoren, die dazu führten, dass sich der Strukturwandel und das Sterben von Bauernhöfen fortsetzen. Gleichzeitig nehmen Ackerflächen weiter ab.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
Ein sich ausbreitendes Merkmal und ein immer stärker wahrnehmbares Phänomen der aktuellen Hitzeperiode sind die Flächenbrände, die in dieser Anzahl noch nicht vorgekommen seien. Zuletzt gab es in der Metropolregion Rhein-Neckar tatsächlich kaum einen Tag, an dem die Polizei nicht von irgendwoher ein Feuer meldete.
Ein Bauer aus Mainz berichtete am Donnerstag, wie der Mähdrescher eines Kollegen beim Versuch, einen Brandherd zu löschen, in Flammen aufgegangen sei. Nun stehe das schwere Gerät wie ein Mahnmal auf dem Acker. „Diese Dramatik hatten wir noch nie“, sagt Landwirt Willi Enders.
Wasser fehlt in der entscheidenden Wachstumsphase
Wie sehr die Böden unter der Trockenheit leiden, zeigt sich beim Ertrag und in der Qualität der Erzeugnisse. Nach einem Frühjahr mit flächendeckenden Niederschlägen und kühlen Temperaturen haben die Entwicklungen seit Mai die Hoffnung auf eine deutlich verbesserte Getreideernte schwinden lassen.
In der entscheidenden Wachstumsphase habe das Wasser gefehlt, konstatieren die Bauern. Hinzu sei ein sehr trockener Ostwind gekommen, der zusätzlich dazu beigetragen habe, dass in einigen Teilen große Probleme bei der Erfüllung der Qualitätskriterien bestünden. Mit geringen Mengen und dann auch noch mit schlechter Qualität müsse man nun klarkommen.
„Das ist noch nicht mal Futtergerste“, beurteilte Hartelt manche im März angelegte Kultur. Insgesamt geht er von einer unterdurchschnittlichen Ernte aus - auch wenn sich beobachten lasse, dass Kulturen, die im Herbst gesät und früh geerntet wurden, besser mit dem zweigeteilten Witterungsverlauf zurechtkamen als beispielsweise spätreifender Winterweizen oder im Frühjahr gesäte Sommergerste.
Landwirtschaft muss sich an Klimawandel anpassen
Damit bestätigt sich ein Trend der vergangenen Jahre, der die Landwirte im Land über das zukünftige Anbauspektrum und mögliche Fruchtfolgen nachdenken lässt. Es geht also um Anpassungsstrategien an den Klimawandel. Der diesjährige Erntebeginn lag immerhin drei Wochen früher als im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre. Was Rüben („Stolperstart“), Kartoffeln und andere Erzeugnisse anbelangt, so hoffen die Landwirte auch hier auf sehr baldigen Niederschlag, der in diesen Tagen aber nicht absehbar ist. Im Gegenteil.
„Wir müssen uns als Gesellschaft auf neue Prozesse einstellen“, sagt Landwirt Adolf Dahlem und führt in diesem Zusammenhang auch neue Züchtungsmethoden an, ohne damit ausdrücklich die Gentechnik zu meinen. An die Politik gerichtet war der Hinweis, dass mit der Strategie der verordneten Pflanzenschutzmittelreduktion manchem Landwirt die Mittel ausgehen, um beispielsweise Krankheiten zu bekämpfen.
Ich brauche die ,Letzte Generation’ nicht.
Stehen Bauern und Klimaschutzaktivisten wie die „Letzte Generation“ eigentlich auf derselben Seite? Bauernpräsident Hartelt sagt: „Ich brauche die ,Letzte Generation’ nicht.“ Landwirte seien die ersten überhaupt, die betroffen seien, wenn sich in der Umwelt etwas ändere. Das Bewusstsein sei schon lange da.
Der Alarmismus der Aktivisten sei nicht förderlich, stattdessen müsse es darum gehen, nach pragmatischen Lösungen zu suchen. „Leute, die noch immer den Klimawandel leugnen, werden auch durch die ,Last Generation’ nicht umdenken“, so Hartelt. Er plädierte dafür, die Belange der Landwirtschaft stärker zu berücksichtigen, um den Betrieben eine Perspektive für die Zukunft zu bieten. Wenn Landwirte aufgäben, weil ihnen immer mehr Fläche entzogen würde oder sie Schäden an ihren Kulturen nicht verhindern dürften, dann habe das Auswirkungen auf alle.
Feuerwehr und Bauern kooperieren
Auswirkungen auf alle haben auch die Flächenbrände der letzten Wochen. Bauern und Feuerwehren wollen hier noch enger kooperieren, als sie das ohnehin schon tun, und sich über Standorte - etwa für kleine Wasserreservoirs - austauschen. In der Südpfalz existiert seit dem vergangenen Jahr die Initiative „Red Farmer“. Oft sind es übrigens Glimmstängel, die die Brände auslösen. Insofern hat die Marke Ernte 23 immer noch etwas Bedrohliches.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-bauern-in-der-region-stoehnen-diese-dramatik-gab-es-noch-nie-_arid,2104902.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/politik_artikel,-politik-so-will-die-regierung-vor-extremwetter-schuetzen-_arid,2104897.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-grosser-flaechenbrand-zwischen-plankstadt-und-eppelheim-_arid,2103721.html