Auf Achse

17-jähriger Lasse Stolley lebt im Zug: Was er über die Riedbahn-Sanierung sagt

Nicht mal ICE-Lokführer sind jüngst so viel Bahn gefahren wie er: Seit August 2022 lebt und arbeitet ein junger Softwareentwickler in Zügen der Deutschen Bahn. Er glaubt inzwischen, den größten Fehler des Unternehmens zu kennen

Von 
Stephan Alfter
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Digitaler Nomade: Der 1,94 Meter große Lasse Stolley hat sich ein sehr genaues Bild vom deutschen Schienennetz machen können, auf dem er nahezu pausenlos seit August 2022 unterwegs ist. © L. Stolley

Am Dienstag hatte sich Lasse Stolley eine Challenge vorgenommen. Die Aufgabe, die er sich selbst gestellt hat, lautete wie folgt: Schaffe ich es, innerhalb eines einzigen Tages in allen sieben DB-Premium-Lounges in Deutschland eine kleine Mahlzeit zu mir zu nehmen? Dazu - und darin bestehe die Schwierigkeit - müsse bei der Bahn aber wirklich alles nach Plan laufen. Und wie oft gibt es das schon angesichts der Tatsache, dass schon am Donnerstag ein weiterer Lokführer-Streik das Land wieder lahmlegt.

Dem 17-jährigen, der aus einer 7000-Einwohner-Gemeinde in Schleswig-Holstein stammt, kann man gerade live dabei zusehen, wie er zum Internetstar wird. Seit das Online-Portal „Business Insider“ am vergangenen Wochenende eine kleine Story über ihn veröffentlicht hat, interessieren sich die deutschen Medien für ihn. Der „Mannheimer Morgen“ ist die erste Regionalzeitung, mit der er ausführlich spricht.

Lasse Stolley ist oft in der Hauptstadt - hier vor dem Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten. © Lasse Stolley

Doch er ist vor mehr als eineinhalb Jahren nicht losgefahren, um berühmt zu werden . Er war gerade 16 geworden, hatte die Realschule hinter sich und eine Ausbildungsstelle als Softwareentwickler in einem kleinen Start-up-Unternehmen in Aussicht. Daraus wurde aber nichts, weil die IHK vor Ort entschied, dass diese Mini-Firma nicht ausbilden dürfe.

Zugplanung bereitet die ersten Monate Probleme

Der sympathische junge Mann entschied sich dann für einen ungewöhnlichen Weg. Fortan arbeitete er als Selbständiger etwa zwei Stunden am Tag für das Start-up - und zwar aus dem Zug, der zu seinem Biotop wurde. Das Geld, das er in den zwei Stunden pro Tag verdiene, reiche ihm für seine Ausgaben, die nicht sehr umfangreich sind, erzählt er. Auf etwa 10 000 Euro schätzt er den Betrag, den er jährlich zum Leben braucht. Die Bahncard 100 mit Status 1. Klasse kostet für unter 27-Jährige 5888 Euro pro Jahr. Darin inbegriffen sind alle Zugfahrten. Das Essen in DB-Lounges ist dann ebenfalls gratis.

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Lasse reist mit leichtem Gepäck - nämlich einem lediglich 31 Liter fassenden Rucksack. Darin befinden sich Unterwäsche, Reisedecke, Nackenkissen, ein Laptop, Kopfhörer und eine Trinkflasche. Das war’s. Auch als er am Dienstag die DB-Lounge in Mannheim, eine der sieben Premium-Lounges auf dem Weg durch Deutschland, für einen Zwischenstopp erreicht, trägt der 1,94 Meter große und 70 Kilogramm leichte Schlaks nichts anderes mit sich.

560 000 Kilometer hat er so schon hinter sich gebracht, aber der Anfang war gewöhnungsbedürftig: „Die ersten zwei Monate waren der Horror. Ich wusste nicht, welche Züge ich nehmen kann“, sagt er. Schließlich gebe es keine Anleitung für das, was er tut. Inzwischen hat sich alles eingespielt. Ab nachmittags sucht er nach Favoriten für den Nacht-ICE, in dem er sich schlafen legen kann. Jeden Tag geht das so. Ab 22 Uhr bettet er sich womöglich in München und gegen 6 Uhr steigt er in Berlin wieder aus dem Zug. Morgens Ostseebad Stralsund, abends Zugspitze - auch das erlebt er häufig.

Morgens Ostsee, abends Alpen

„Die Vielseitigkeit Deutschlands beeindruckt mich und ich bin Fan von allen Regionen“, stellt er inzwischen fest. Blaue Seen, hohe Berge, klare Flüsse und dichte Wälder spiegeln sich in der Scheibe, wenn „sein“ ICE daran vorbeifliegt. Weil Lasse Stolley ein Bewegungsmensch ist, bleibt er nicht in den Schnellzügen sitzen, sondern nutzt zusätzlich Regionalbahnen, um zu konkreten Zielen zu gelangen.

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Wenn er in Berlin aufschlägt, was häufig vorkommt, dann nimmt er sich den Weg entlang der früheren Mauer in Etappen vor. Er besucht Museen, trifft Freunde und er geht mehrmals pro Woche in Schwimmbäder, die nahe an großen Bahnhöfen liegen, um zu duschen. Immer im Blick ist die Wetterkarte. Da, wo es schön ist, fährt er am ehesten hin. Was Lasse erzählt, mag für viele inspirierend klingen.

Da gibt es jedoch auch die weniger tollen Tage. Als digitaler Nomade - und das ist Lasse Stolley - ist man auf nicht viel angewiesen. Auf eine funktionierende Infrastruktur aber eben schon. Die vorläufige Riedbahnsperrung zu Jahresbeginn, deren dickes Ende ab Mitte Juli bevorsteht, sorgt gerade bei Pendlern für schlaflose Nächte. Lasse beschreibt das generelle Problem mit dem deutschen Bahnnetz: „Es gibt viele geplante Ausfälle. Die Auslastung der einzelnen noch fahrenden Bahnen werde dann schwer ertragbar.

Sein ganzes Hab und Gut passt ihn einen Rucksack: Lasse Stolley reist als digitaler Nomade quer durch Deutschland. © L. Stolley

„Es war schon ein absolutes Chaos und mit der Riedbahnsperrung wurde alles noch extremer“, sagt der 17-Jährige. Aufgefallen ist ihm auch, dass der Ton in den Zügen rauer geworden ist und dass sich Aggressionen schneller entladen. Er bekomme es live mit, wie das Personal beleidigt werde.

Kommunikation als Schwäche der Bahn erkannt

Die Bahn trage aber selbst ihren Teil dazu bei, hat er festgestellt, denn die größte Schwäche des Unternehmens liege in der Kommunikation in Zügen und an Bahngleisen. „Wenn ein ICE minutenlang auf freier Strecke steht, dann werden Menschen nervös“, beobachtet er. Dann fehle oft jemand, der die Situation erklärt. Lasse selbst ist trotzdem noch nicht müde. Mit jedem Monat werde sein Projekt spannender, findet er. Womöglich wird er sich im August für eine neue Bahncard entscheiden und ein Jahr als digitaler Nomade dranhängen. Vielleicht sollte ihn die Bahn danach einfach einstellen. Seine Challenge hat er übrigens bestanden. Früher als geplant erreichte er München am Dienstagabend - noch ganz ohne Streik.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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