Zugegeben, so spektakulär wie die Vorwahlen in den USA ist die Abstimmung über die neuen Straßennamen in Rheinau-Süd nicht. Dennoch ist auch diesbezüglich eine gewisse Spannung zu spüren. Natürlich vor allem bei den betroffenen Anwohnern, aber auch bei allen an Erinnerungskultur Interessierten.
Die Zwischenbilanz zur Halbzeit der Bürgerbefragung fällt zwiespältig aus. So etwa, was das Abstimmungsverfahren angeht. Nicht nur Ältere werden durch den digitalen Weg vom Mitmachen abgeschreckt - was übrigens auch eine generelle Erkenntnis für Teilhabeprozesse sein kann.
Bürgerbeteiligung führt auch zu starker Polarisierung
Das Positive: Bei manchen hat diese Abstimmung dazu geführt, dass sie sich mit den vorgeschlagenen Namen befassen, damit auch, dass sie mit der Thematik Kolonialpolitik erstmals in Kontakt kommen. Was Befürworter direkter Demokratie immer als deren Vorteil nennen, also die Beschäftigung der Wähler mit dem zur Abstimmung stehenden Thema, ist also durchaus erreicht.
Aber eben auch jene negativen Seiten, die Kritiker gegen solche Verfahren anführen: eine starke Polarisierung. Nicht die Vorteile der eigenen Vorschläge werden herausgestrichen, sondern das Negative beim Gegenüber. Dass etwa eine Person, nach der in der Hauptstadt Berlin eine Straße benannt ist (Rudolf Duala Manga Bell), die einen Grammy Award gewonnen hat (Miriam Makeba) oder gar mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde (Wangari Maathai), als nicht angemessen erachtet wird, die Adresse etwa für 15 Häuser in der bisherigen Lüderitzstraße bilden zu können, das mutet schon seltsam an.
Sind die neuen Namen wirklich alle passend?
Mancher Einwand ist bereits in sich selbst nicht stimmig - wenn von einem Anwohner in einem Leserbrief im „MM“ bei Miriam Makeba vermerkt wird, dass sie mehrmals verheiratet war, aus dieser Richtung aber jemand wie Isabelle Eberhardt empfohlen wird, die durch ihr hedonistisches Leben in den Bars und Bordellen der französischen Kolonialarmee in Afrika legendär wurde. Promiskuität, Drogen und Alkohol bis zum Umfallen - wer‘s mag, okay. Privatsache.
Aber man muss wirklich nicht der Bigotterie anheimgefallen sein, um zu fragen, ob eine solche Person angemessen ist, mit einem Straßennamen im öffentlichen Raum geehrt zu werden. Dass die CDU diesen Vorschlag unterstützt, wird sie ihrer bürgerlichen Anhängerschaft sicher erklären können.
Erklären muss aber auch die Stadt, wie diese und andere Personen die angeblich so eingehende Überprüfung auf „Würdigkeit“ für einen Straßennamen überstanden haben und auf die Vorschlagsliste zur Abstimmung gelangt sind. Das gilt auch für Georg Neumayer. Was er auf seiner Expedition in Australien 1860 gemacht hat, das ist unter Historikern durchaus umstritten. So stellt sich die Frage, ob sich die Anwohner mit diesem Namen nicht erneut eine politische Mine legen, die irgendwann hochgeht.
Ähnliches gilt für Ida Pfeiffer. Will die Stadtgesellschaft in Zeiten, in denen es darum geht, Rassismus zu erkennen und ihm offensiv entgegenzutreten, wirklich eine Straße nach einer Person benennen, die in ihren Schriften Einheimische im globalen Süden als „Wilde“ qualifiziert hat?
Um es klar zu sagen: In einer Demokratie und daher auch bei dieser freien Abstimmung hat jeder Bürger und jede Bürgerin das Recht, auch so etwas zu wollen. Verantwortliche Politik hat dies bei Bewertung des Abstimmungsergebnisses jedoch nicht.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Zwiespältige Halbzeitbilanz der Mannheimer Straßennamen-Abstimmung
Die laufende Abstimmung über neue Straßennamen in Rheinau-Süd setzt zwar viel Bürger-Engagement frei, hat aber in ihrer Umsetzung auch manche Probleme, findet Redakteur Konstantin Groß