Kommentar Widerliche Debatte über ukrainische Kriegsflüchtlinge

Deutsche Politiker werfen ukrainischen Kriegsflüchtlingen ernsthaft Fahnenflucht vor und wollen sie wieder zurückschicken. Damit werden Menschen kriminalisiert, die nicht als tote Helden enden wollen

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Walter Serif
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Berlin. Die Uhr tickt schon – und in Berlin wächst die Nervosität. Am 1. September könnten die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen eine Zeitenwende der anderen Art einleiten. Man muss sich nur dieses Horrorszenario vorstellen: AfD und BSW holen die Mehrheit – und regieren zusammen. Dass Sahra Wagenknecht mit den Rechtsextremen paktiert, mag Stand heute unwahrscheinlich sein, ändert aber nichts am dramatischen Niedergang der stramm demokratischen Parteien im Osten Deutschlands.

Politbarometer

Soll Sahra Wagenknecht BSW in Ostdeutschland mitregieren?

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Walter Serif
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Die drei Ampel-Partner SPD, Grüne und FDP – sie kommen im aktuellen Politbarometer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen auf ein knappes Drittel der Stimmen –, müssen damit rechnen, dass sie in Sachsen und Thüringen halbiert werden. Es ist nicht einmal sicher, ob das Trio den Einzug in die Landesparlamente schafft. Aber auch der CDU droht der Kahlschlag. Die bisherigen Umfragen deuten – anders als die zur Bundestagswahl – nur auf Platz zwei hinter der AfD hin.

Will die CDU von Rechtsextremen geführte Landesregierungen verhindern, müsste sie über ein Bündnis mit Wagenknecht nachdenken. Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben? Das könnte die CDU innerparteilich zerreißen und den Nimbus ihres Vorsitzenden Friedrich Merz zerstören, der die zerstrittene Partei in den vergangenen zwei Jahren wieder geeint hat. Während die Wählerinnen und Wähler im Politbarometer ein solches Bündnis befürworten, ist die CDU-Anhängerschaft gespalten.

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Die drohende Erosion der politschen Landschaft in Ostdeutschland hat jedenfalls alle Parteien jenseits der Ränder alarmiert. SPD, FDP, die Union, in Teilen sogar die Grünen, überbieten sich gegenwärtig mit ihren Vorschlägen, die eine verdammt starke Dosis Populismus enthalten.

Während die Debatte über die Abschiebung von afghanischen Straftätern nach der Messerattacke in Mannheim noch eine gewisse politische Substanz hatte, nimmt der Überbietungswettbewerb inzwischen bizarre Züge an. Dass schon ein „Gefällt mir“ auf einem inkriminierenden Hassposting zur Ausweisung von Ausländern führen soll, dürfte einer juristischen Prüfung kaum standhalten.

Da ist die aktuelle Debatte um das Bürgergeld für ukrainische Kriegsflüchtlinge schon gefährlicher. Politiker wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schüren nicht nur das in der Bevölkerung allgemein verbreitete Ressentiment, dass die Empfänger von Bürgergeld Faulenzer seien.

Inzwischen gibt es ja auch Unionspolitiker, die wehrfähigen Männern aus der Ukraine Fahnenflucht vorwerfen und sie deshalb zurückschicken wollen. Sie selber würden natürlich bis zur letzten Patrone gegen Russlands Truppen kämpfen, sollten diese unsere Grenze überschreiten.

Das Schlimme: Es werden jetzt Menschen, die vor Putins Krieg fliehen und nicht als tote Helden enden wollen, kriminalisiert und ihrer Ehre beraubt. Das ist einfach nur widerlich. Übrigens war es die Union, die mit der FDP die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt und unter ihrer langjährigen Kanzlerin alles unternommen hat, dass der deutsche Verteidigungsetat stets unter der von der Nato geforderten Marke lag. Kämpfen für uns sollen lieber die anderen.

Die Debatte über die ukrainischen Flüchtlinge zeigt schon Wirkung. Immer mehr Deutsche meinen, dass für diese zu viel getan wird. In den neuen Bundesländern denkt das sogar die Mehrheit. Und natürlich wird dies auch die Diskussion über die militärische Unterstützung der Ukraine befeuern. Die Russland-Freunde von AfD und BSW liegen ja nicht umsonst in den Umfragen vorn. Wer allerdings die Ukraine im Stich lassen will, braucht sich nicht zu wundern, wenn noch mehr Flüchtlinge kommen und dann – mit oder ohne Bürgergeld – länger bleiben.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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