Immer tiefer dringt der Staat in die Lebensbereiche jedes einzelnen Menschen vor. Das hat etwas mit der komplexer werdenden Welt zu tun, die immer mehr Regelungsbedarf mit sich bringt. Aktuellstes Beispiel in der Region ist die Absage des Erlebnistags Deutsche Weinstraße in dieser Woche. Mit mehr als 200 000 Besuchern an einem einzigen Tag Ende August ist er eine der größten Veranstaltungen in der Region – wenn auch auf 80 Kilometer gestreckt. Es ist ein Schaulaufen schöner Landschaften und ihrer Bewohner. Und eine Werbung für den Wein.
Das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz sieht jetzt neuerdings weitreichende Forderungen vor, die offenbar in sieben (!) Monaten Vorbereitungszeit nicht zu erfüllen sind. Kann es das noch sein? Einerseits ist es vielleicht ein verständliches Anliegen, denn es muss ja Ansprechpartner geben – im Falle einer Katastrophe zum Beispiel. Andererseits muss die Frage auch mal erlaubt sein, ob es überhaupt möglich ist, alles bis ins letzte Detail zu regeln und zu schützen? Was dabei zu kurz kommt, ist die Unbeschwertheit, die Spontaneität und damit auch die Lebensfreude. Gibt es eigentlich noch so etwas wie Sorglosigkeit? Wollen wir das alles opfern, weil die gestiegene Wahrscheinlichkeit eines Extremwetterereignisses die veranstaltenden Behörden zu erhöhter Achtsamkeit und zu Verboten zwingt. Es ist einfach typisch deutsch, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Und: Es ist auch ein Stück weit die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen, darauf zu achten, in welche Situationen er oder sie sich begibt.
Die neuen Erfordernisse sind insofern auch bigott, weil Ordnungsbehörden und Polizei seit Erfindung des Weinstraßen-Tages im Jahr 1985 reihenweise wegschauten, wenn auf der Weinstraße konsequent Wein getrunken wurde. Es war quasi das Haupterkennungsmerkmal, dass geradelt und getrunken wurde. Hat man jetzt nach mehr als 30 Jahren plötzlich doch gemerkt, dass das ja eigentlich nur in gewissen Maßen erlaubt ist? Wir sind gespannt, ob diese Veranstaltung überhaupt noch eine Zukunft hat, wenn beim Weinstraßentag eines Tages kein Wein mehr ausgeschenkt werden darf.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Weinstraßentag ohne Wein?