Die katholische Kirche verliert einen großen Papst. Die Welt aber verliert eine Persönlichkeit, die wie kaum eine andere für die Schwachen, die Leidenden, die Flüchtenden einstand. Franziskus repräsentierte eine Kirche, die für Mitmenschlichkeit steht.
Als ihn seine erste Reise als Papst nach Lampedusa führte, um an die Tausenden ertrunkenen Migranten im Mittelmeer zu erinnern, geißelte er die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Jedes seiner Worte ein Stich: „Wir haben uns an das Leid des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es ist nicht unsere Sache.“
Innerkirchlich setzte der erste Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri auf Reformen, erzürnte damit die Konservativen, verachtete deren Prunk, segnete die Armen und stärkte die Kämpfer für eine gesunde Umwelt. Den selbstverschuldeten Vertrauensverlust in die Institution Kirche, allein durch die Missbrauchsskandale und die unzureichende Aufarbeitung, konnte Franziskus zumindest in Deutschland nicht aufhalten. Nicht jeder Aufgabe ist ein Papst gewachsen.
Der katholischen Kirche ist zu wünschen, dass ihr nächstes Oberhaupt die Bescheidenheit und den Mut eines Franziskus in sich trägt und zugleich eine hörbare Person der Weltpolitik wird
Aber jeder Papst kann allen Menschen dienen, in dem er Dinge ausspricht, die man von Donald Trump, Xi Jinping, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan nie hören wird. Wer ersetzt im Vatikan diese notwendige Stimme in einer Welt, die von Krise zu Krise taumelt und in der die Verachtung von Nachhaltigkeit weiter Raum greift?
Der katholischen Kirche ist zu wünschen, dass ihr nächstes Oberhaupt von weltweit 1,4 Milliarden Gläubigen die Bescheidenheit und den Mut eines Franziskus in sich trägt und zugleich eine hörbare Person der Weltpolitik wird. Den Katholiken in Deutschland ist zugleich zu wünschen, dass ihre Kardinäle und Bischöfe nicht nur die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod behandeln, sondern zu einer klaren Sprache finden, die den gesellschaftlichen Frieden stärkt und den wuchernden Hass in alle Richtungen versucht zu einzudämmen.
Dieser Wunsch wird Julia Klöckner vermutlich nicht gefallen. Die CDU-Politikerin ist gerade erst als Bundestagspräsidentin ins zweithöchste Amt im Staat aufgestiegen und hat in einem Osterinterview den Kirchen vorgeworfen, sich zu oft in tagesaktuellen Themen zu Wort zu melden - „wie eine NGO“, so Klöckner. Was daran ist nicht in Ordnung? Wenn eine Gesellschaft ihr gemeinsames Fundament zu verlieren droht, und so ernst ist die Lage nun einmal, dann sind eben nicht nur die Parteien gefragt. Die Kirche muss politisch sein, hierzulande und auch im Vatikan.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Was Papst Franziskus uns gelehrt hat: Es ist Zeit für die politische Kirche
Franziskus war ein ungewöhnlicher Papst mit großem Herz für die Armen. Sein Nachfolger ist mit vielen weltlichen Krisen konfrontiert und muss eine politische Stimme werden, kommentiert Chefredakteur Karsten Kammholz.