Mannheim. Wenn Mannheimer das manchmal doch sehr übersteigerte Selbstbewusstsein von Heidelbergern dämpfen wollen, sagen sie den Spruch: „Ihr habt eine Ruine – unser Schloss ist ganz!“ Das stimmt, denn das 1689 und 1693 durch französische Soldaten zerschossene, angezündete, gesprengte Schloss hoch über dem Neckar wurde nie mehr aufgebaut. Dennoch wird es tausendfach besungen, millionenfach auf Postkarten oder per Selfie verschickt. Es ist eine Ruine, aber doch eine internationale Attraktion, weil 1810 der französische Graf Charles de Graimberg sie als Ziel für Touristen entdeckte.
Dagegen wissen viele Leute nicht einmal, dass Mannheim – seit jetzt 301 Jahren – ein Schloss hat. Dabei war es historisch bedeutender als der Heidelberger Bau, nämlich im 18. Jahrhundert ein ganz herausragendes Machtzentrum des gesamten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sowie angesehener Kristallisationspunkt von Kunst, Kultur und Wissenschaft. Alle Adeligen und Künstler machten auf ihrer Tour durch Europa hier Station – leider im Gegensatz zu den Städtetouristen heute.
Aber die kurfürstliche Herrlichkeit endete 1778, und die Ära als badischer Witwensitz von 1819 bis 1860 brachte nur noch ein bisschen Glanz zurück. Seither herrscht in der Residenz die Tristesse der Verwaltung. Behörden, Gerichte, eine Mädchenschule, Dienstwohnungen und die Rheinschiffahrtskommission zogen ein, ab 1929 in ein paar Räume das Schlossmuseum.
In Vergessenheit geraten
Nach und nach ist das Schloss aus dem Bewusstsein der Mannheimer verschwunden. Verstärkt wurde dies dadurch, dass auf der Vorderseite die Bismarckstraße wie eine Schneise wirkt, auf der Rückseite der alte Schlossgarten durch Straßen und Schienen zerstört wurde. So geht man mit einem bedeutenden Baudenkmal nicht um. Die Mannheimer nehmen es aber nur noch als Sitz der Universität wahr, und deren Verankerung in der Stadt ist ja auch mehr als verbesserungswürdig.
Sicher – es gibt seit 2007 wieder das kleine Schlossmuseum und ein paar rekonstruierte historische Räume. Die wurden gerade in diesem Jahr kräftig aufgewertet und mit neuen, innovativen Angeboten sehr gut ergänzt. Aber was völlig fehlt, ist eine Einbindung vom Schloss in das Mannheimer Kulturangebot, vom Kombiticket bis zu gemeinsamen Veranstaltungen. An diesem Wochenende eröffnet das Marchivum seine Ausstellung, und das Schloss feiert den 300. Ge-burtstag nach. Das hätte man als das große Stadtgeschichts-Wochenende vermarkten können. Die Chance wurde verpasst.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Peter W. Ragge Verpasste Chance für das Mannheimer Schloss