Kommentar Selbst ist der Bürger

Michael Backfisch meint, dass bei Lösungen für die Krise nicht nur der Staat in der Verantwortung ist

Veröffentlicht
Kommentar von
Michael Backfisch
Lesedauer

In der Not ist Zusammenhalt das Gebot der Stunde. Das gilt auch für kritische Lagen wie die rasant steigende Inflationsrate, die Energiepreis-Explosion infolge des Ukraine-Kriegs oder die weiter stockenden Lieferketten im Zuge der Corona-Pandemie. Daher ist es gut, dass sich Vertreter von Bundesregierung, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Experten am Montag zusammengesetzt haben, um in einer kollektiven Kraftanstrengung Wege zu einer Lösung auszuloten. Es ist ein Rückgriff auf die „konzertierte Aktion“ aus dem Jahr 1967, mit der die damalige große Koalition versuchte, die erste Rezession des Wirtschaftswunderlandes Bundesrepublik in den Griff zu bekommen.

Die Zusammenkunft der Teilnehmer war von großem Ernst und dem Bewusstsein um die gewaltige historische Verantwortung geprägt. Radikale Rhetorik fand dabei nicht statt. Das ist auch gut so. Doch dieses informelle Gremium ist kein Zauber-Forum, das die Probleme mit einer magischen Formel lösen könnte. Der Staat kann in Ausnahme-Situationen zwar große ökonomische Krisen abmildern, doch er ist keine Allheil-Instanz.

Die konzertierte Aktion soll bis Herbst Instrumente entwickeln. Doch vor überhöhten Erwartungen sei gewarnt. Die gemeinsame Plattform ist keine übergeordnete Ersatzregierung. Löhne und Gehälter sind auch in einschneidenden Krisen-Situationen nicht Sache der Ampelkoalition, sondern der Tarifpartner. Nur sie können verhindern, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt, die die Wirtschaft in einen Teufelskreis katapultieren würde.

Mehr zum Thema

Krise

Scholz beschwört den Zusammenhalt

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Zudem ist der Spielraum der öffentlichen Hand begrenzt. Der Bund nimmt im Jahr 2022 fast 140 Milliarden Euro an Krediten auf. Bedürftige, Familien, Geringverdiener sowie Berufspendlerinnen und -pendler werden mit insgesamt rund 30 Milliarden Euro entlastet. Das sind gewaltige Summen, die Unternehmen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder erwirtschaften müssen. Der ewige Ruf nach dem Staat führt aber in eine Anspruchshaltung, die in eine nicht mehr zu kontrollierende Verschuldungsspirale münden würde.

Finanzierung auf Pump liefert auf Dauer ebenso wenig die Lösung wie Planeritis. Die Forderung der DGB-Chefin Yasmin Fahimi, eine Preisgarantie für den Grundbedarf an Strom und Gas festzulegen, ist ein solcher Irrweg. Wer definiert diesen Grundbedarf nach welchen Kriterien – und wo bleibt dabei der Anreiz zum Energiesparen? Der in Kreisen von Jusos und Linke herumgeisternde Vorschlag eines „Krisensolis von Topverdienern“ gehört zudem in die Rubrik politische Einfallslosigkeit. Doch auch der eine oder andere Arbeitgeber schießt übers Ziel, wenn er sich aus Furcht vor hohen Lohnforderungen für eine Einschränkung des Streikrechts stark macht.

Angesichts der großen Umbrüche in der Welt schlägt nicht nur die Stunde des Staates, sondern auch die der Bürgerinnen und Bürger. Selbstverantwortung ist jetzt gefragt. Jeder und jede einzelne muss sich überlegen, wie er oder sie das Geld mit Blick auf knappere Ressourcen ausgeben will. Muss der teure Interkontinental-Urlaub wirklich sein? Wie kann ich Energie in der eigenen Wohnung oder dem eigenen Haus sparen? Sollte das Heizsystem im Sommer auf Effizienz getrimmt werden, damit der Verbrauch im Winter geringer ausfällt? Egal, wann und wie der Ukraine-Krieg endet: Unsere Lebensgewohnheiten werden sich ändern. Ohne Verzicht geht es nicht.

Die Politik muss sich schnellstmöglich um das kümmern, was sie lange versäumt hat: die Diversifizierung von Energiequellen. Und sie muss den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschenken. Die Lage ist ernst – und wird es bleiben.

Autor