Kommentar Schriesheimer Ärger um Schilder: Bürokratie ohne Verständnis dafür, was Bürger fühlen

Im Schriesheimer Ortsteil Altenbach herrscht Unmut über die Ortseingangsschilder, auf denen er nicht erwähnt ist. Die Bürokratie beharrt auf ihrem Standpunkt - das geht an den Menschen vorbei, kritisiert Konstantin Groß.

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Konstantin Groß
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Sogar für die hier vorliegende, scheinbar banale Problematik hält die Bibel ein passendes Wort parat. Im fünften Buch Mose, Kapitel 8, steht geschrieben: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Soll heißen: Es gibt immaterielle, emotionale Fragen, die die Menschen oft genauso stark oder vielleicht sogar stärker umtreiben als materielle. Der vielen kurios erscheinende Schild(bürger)streich in Schriesheim ist dafür ein gutes Beispiel.

Denn keiner, der sich über die Nicht-Erwähnung Altenbachs erregt, hat durch diesen Missstand einen materiellen Nachteil. Und keiner davon einen Vorteil, wenn dies geändert wird. Es ist einfach eine Frage des Gefühls – ein Umstand, der von Politik und Bürokratie in seiner Bedeutung noch immer oft verkannt wird. Obwohl beide am Ende nicht selten zurückrudern müssen.

Von der Politik unterschätzt

Denn keine Etatdebatte, kein Infrastrukturprojekt vermag manche Bürger derart auf die Palme zu bringen und damit auch politisch wirkmächtig zu werden wie solche nur scheinbar folkloristischen Themen. Wir sehen es bei der Auseinandersetzung über die Wiederaufstellung des Zabbe-Brunnens in Mannheim-Seckenheim, die von den Bürgern erkämpft wurde, oder bei der historisch gebotenen Umbenennung von Straßennamen, die wie in Mannheim-Rheinau nur gegen heftigsten Widerstand der Anwohner durchgesetzt werden kann oder wie kürzlich in Schriesheim an ihm gar scheitert.

Und von den Straßennamen ist es nicht weit zu den Ortseingangsschildern. Auch diese Diskussion ist keineswegs auf Altenbach beschränkt. Die Frage, ob der Zusatz „Inselgemeinde“ in Ilvesheim auf die Schilder gesetzt werden soll, die beschäftigt manche vor Ort emotional ja mindestens so intensiv wie das Millionenprojekt Kombibad.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass es objektiv keinen vernünftigen Grund gibt, Altenbach nicht auf das Ortseingangsschild zu setzen. Die Argumente dagegen stammen aus dem Lehrbuch abgehobener Bürokratie.

Ein Totschlag-Argument

Natürlich ist in solchen Diskussionen ein Gegenargument nicht fern: Habt Ihr denn keine andere Sorgen? Und derzeit wird dann auch noch gerne hinzugefügt: Gerade jetzt, wo zwei Flugstunden von uns entfernt ein brutaler Krieg tobt. Wo wir nicht wissen, ob und wie wir im Winter unsere Wohnung heizen können.

So etwas nennt man ein Totschlagargument – denn es ist voll zutreffend, aber eben auch nicht. Natürlich wirkt die Schilder-Diskussion angesichts der tragischen Ereignisse in der Ukraine absolut lächerlich. Auf der anderen Seite hilft es auch niemandem dort, diese Diskussion zu unterlassen.

Zudem habe ich mir in fast 40 Jahren journalistischer Tätigkeit eine große Skepsis gegenüber dem Argument „Habt Ihr keine anderen Sorgen?“ erworben. Denn es wurde und wird gegen viele Forderungen vorgebracht, und zu allen Zeiten übrigens auch mit dem Zusatz „gerade jetzt?“ Meine Erfahrung: Wer sagt „Habt Ihr keine anderen (soll ja heißen: keine wirklichen) Sorgen“, der kümmert sich oft auch nicht um diese wirklichen.

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