Kommentar Schöne neue Nahverkehrswelt in Heidelberg?

Das 3-Euro-Ticket als einjähriges Pilotprojekt mit anschließender Auswertung anzulegen, ist ein cleverer Schachzug, der zudem noch die Tür für Fördergelder offenhält, meint Michaela Roßner.

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Michaela Roßner
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Einfach, ohne jedes Mal ein Ticket lösen zu müssen, in Bus und Bahn steigen – und zwar bundesweit: Das 9-Euro-Ticket zeigt uns seit Juni, wie einfach ÖPNV gehen kann. Heidelberg setzt mit seinem 3-Euro-Ticket nun eins drauf. Bis zu 15 Millionen Euro ist man bereit, dafür auszugeben.

Wunderbare neue Nahverkehrswelt? Das fast kostenlose Heidelberger Monatsticket hat eine Geschichte. Zuerst aus der Ecke der Linken gefordert und von breiter politischer Mehrheit abgelehnt, dann als Klimaschutzidee vom Stadtchef aus der südfranzösischen Partnerschaft mitgebracht und sehr kritisch empfangen. Nach mehreren Schleifen, Schrauben am Begünstigtenkreis und schließlich als einjähriges Pilotprojekt konzipiert, wird nun der soziale Charakter betont.

Im Thema ist viel Bewegung: In Baden-Württemberg wird über ein landesweites Schülerticket nachgedacht und bundesweit soll es wohl einen Nachfolger des 9-Euro-Tickets geben. Noch vor einem Jahr hätte man einen Gratis-ÖPNV kaum für möglich gehalten. Die Krisen haben beschleunigt und angeregt, über Dinge nachzudenken, die festzementiert schienen.

Der Herbst wird vielen Bürgern durch steigende Preise einiges abverlangen. Nun bekommen sie etwas Unterstützung. Mit diesem Konzept können fast alle politischen Gruppierungen leben. Im November ist in Heidelberg OB-Wahl, und vier der fünf bislang bekannten Kandidatinnen sind Gemeinderäte unterschiedlicher Couleur.

Das 3-Euro-Ticket als einjähriges Pilotprojekt mit anschließender Auswertung anzulegen, ist ein cleverer Schachzug, der zudem noch die Tür für Fördergelder offenhält. Der Mut könnte belohnt werden.

Als Klimaschutzmaßnahme hingegen taugt das neue Heidelberger Ticket nicht, da die große Gruppe der Pendler nicht profitiert. Denn das Ticket wird ja nur Heidelbergern angeboten.

Und generell ist ein „Gratis-Ticket“ im ÖPNV niemals kostenfrei und schon mit den gewohnten Ticketpreisen ein reines Zuschussgeschäft. Die Entscheidung, wofür die Steuergelder ausgegeben werden, ist eine politische. Rund 13 Milliarden Euro nehmen die Verkehrsbetriebe bundesweit pro Jahr an Fahrgeld ein. Das ist jene Summe, die allein in Nordrhein-Westfalen für den Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe veranschlagt wird. Viel Geld, das für den Unterhalt und Ausbau des ÖPNV fehlen würde, wenn er gratis wäre. Und: Bei Strom und Wasser fordert auch niemand ernsthaft, alles geschenkt zu bekommen.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg