Kommentar Richtig, dass die Stadt ihre Geflüchteten-Politik an Dynamik des Krieges anpasst

Eigentlich wollte die Stadt die Strukturen für die Erstaufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine herunterfahren. Dass nun doch Räume in Mannheim angemietet werden, ist nachvollziehbar, kommentiert Sebastian Koch

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Sebastian Koch
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Mannheim. Ein wenig wirkt es wie eine Rolle rückwärts, die die Stadt Mannheim nun vollzieht: Noch im Juli hatte die Verwaltung erklärt, man wolle bisherige Strukturen bei der Erstaufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine verändern, ja man wolle sie sogar herunterfahren. Dass die Stadt nach dem Auszug aus dem Thomashaus nun trotzdem erneut ein früheres Seniorenheim als Erstanlaufstelle anmietet, ist deshalb bemerkenswert.

Diesen Schritt als Niederlage für die Pläne der Verwaltung zu werten, wird dem aber nicht gerecht. Vielmehr zeigt sich erneut, welche Auswirkungen und Unwägbarkeiten der Krieg in der 2000 Kilometer entfernten Ostukraine hat - nach wie vor kommen täglich Geflüchtete nach Mannheim. Die Stadt ist nun auch getrieben von der Tatsache, dass Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes belegt sind und Geflüchtete deshalb auch an Städte verteilt werden, die Aufnahmequoten bislang erfüllt haben. In der Dynamik der Ereignisse an der ukrainisch-russischen Grenze lassen sich vor Monaten getätigte Aussagen heute schwierig als richtig oder falsch bewerten. Das gilt für die Bundespolitik genauso wie für die Kommunalpolitik.

Als Freifahrtschein darf das allerdings nicht gelten. Mehr denn je muss es der Politik auf Bundes-, Landes- und vor allem auf kommunaler Ebene gelingen, die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten (und anderen Nationalitäten ) aufrechtzuerhalten. So müssen etwa Familien, die Geflüchtete aufgenommen haben, mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert, stärker unterstützt werden. Dazu gehört etwa, dass finanzielle Vorleistungen, in die Gastfamilien getreten sind, zügig und unbürokratisch beglichen werden.

Weil Aufnahmekapazitäten von Stadt und Land Grenzen erreicht haben, müssen neue Möglichkeiten geschaffen werden. Will man Hallen - nachvollziehbar - nicht monatelang blockieren, sind Hotels eine bereits seit langem genutzte Alternative. Aber auch diese Plätze sind endlich. Es braucht deshalb verlässliche Anreize für Familien, sich für eine private Unterbringung von Geflüchteten zu melden.

Gefordert ist auch der Bund, der sich in der Frage nach dem Umgang mit geflüchteten russischen Kriegsdienstverweigerern zügig positionieren muss: Aufnehmen oder nicht? Deren Unterbringung müssten dann wohl ebenfalls wieder Kommunen leisten. Viel Zeit, sich auf eine womöglich fundamental veränderte Situation vorzubereiten, werden sie auch dann nicht haben.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts