Die Überraschung ist ausgeblieben, und offenbar wurde hier auch kein starkes politisches Zeichen gesetzt. Die Königlich Schwedische Akademie hat mit der Vergabe des Nobelpreises für Literatur an Jon Fosse vielmehr einen Schriftsteller geehrt, der länger schon zum Favoritenkreis zählte – und zumal im westlich geprägten Kulturkreis durchaus Rang und Namen hat. Man darf auch daran erinnern, dass Norwegen eine bedeutende literarische Tradition aufweist, für die Namen wie Knut Hamsun, selbst Träger des Preises, und Henrik Ibsen stehen; deren bevorzugte Genres, Roman und Drama, prägt Fosse beide in ihrer gegenwärtigen Fortentwicklung mit.
Vielfach war erwartet worden, die diesjährige Wahl werde auf einen Namen fallen, mit dem sich der Einsatz für die freie Rede verbindet. Dafür hätte sich derzeit wohl kaum ein prominenterer Repräsentant als der diesjährige Friedenspreisträgers Salman Rushdie finden lassen, an dessen literarischer Kraft zudem keinerlei Zweifel bestehen. Stattdessen aber setzt die Stockholmer Akademie ein Zeichen für die Literatur als solche. Das bestätigt schon die Urteilsbegründung, wonach der 64 Jahre alte Fosse für „seine innovativen Stücke und Romane“ geehrt werde, die „dem Unsagbaren eine Stimme geben“. Eine Kraft zur (sprachlichen) Erneuerung kommt jeder echten Literatur zu, und deren Stärke besteht eben auch darin, Dinge zu benennen, die sich herkömmlichem Sprechen entziehen. Alles Weitere, darunter auch ein Renommee, das politisch genutzt werden mag, ergibt sich erst daraus.
Mit der diesjährigen Wahl wird keine Richtungsentscheidung ausgedrückt, sondern eine Besinnung auf den Ursprung dieses besonderen Preises. Wie keine andere literarische Auszeichnung steht er für die Würdigung dessen, was zu Recht noch immer Weltliteratur heißt. Das drohte in den vergangenen Jahrzehnten zuweilen in Vergessenheit zu geraten. Es geht bei der international angesehensten literarischen Auszeichnung nicht vor allem darum, die Aufmerksamkeit auf eine zu wenig beachtete Weltgegend oder ein persönliches Schicksal zu lenken. Als Einladung, einen wichtigen Autor näher kennenzulernen, bewährt sich der Preis aber nun erneut.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nobelpreis für Jon Fosse: Zeichen für die Literatur als solche gesetzt
Die Vergabe des Nobelpreises für Literatur setzt in diesem Jahr kein politisches Ausrufezeichen; es geht hier um die Sache der Literatur selbst in ihrer Unverwechselbarkeit. Und das ist durchaus zu begrüßen