Ich bin gegen eine allgemeine Impfpflicht. Das ist zurzeit eine unpopuläre Meinung, darum will ich sie kurz begründen. Es geht auf keinen Fall darum, das Coronavirus zu verharmlosen: Ich selbst bin geimpft und sehr froh darüber – und dankbar dafür. Ich glaube aber, dass bei der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht der Schaden für die Demokratie größer wäre als der Nutzen im Kampf gegen die Pandemie.
Die Aussage war klar und wurde unzählige Male wiederholt: Es wird keine Impfpflicht geben. Sollte der Bundestag sie im neuen Jahr trotzdem beschließen, hätte die Politik ihr Versprechen gebrochen. Das ist zwar schon öfters passiert. Aber noch nie in einer so zentralen Frage.
Ja, die Fakten haben sich durch die neuen Virusvarianten geändert. Aber bei vielen der Menschen, um die es hier geht, werden solche Feinheiten nicht ankommen. Viele von ihnen stehen dem Staat eh schon skeptisch gegenüber – und würden dann endgültig mit ihm brechen. Es wäre die Erbsünde der Politik, die eine ganze Generation und ihr Vertrauen in die Demokratie prägen würde. Das ist es nicht wert.
Wo ist das Problem, lautet das Gegenargument, eine Impfpflicht hat es doch früher schon gegeben und gibt es teilweise heute noch. Stimmt. Aber das überzeugt mich nicht. Früher haben auch Männer darüber entschieden, ob ihre Frauen arbeiten dürfen. Und Homosexualität war strafbar. Außerdem war noch keine Impfung bislang so emotional aufgeladen und hat die Gesellschaft dermaßen gespalten.
Abgesehen davon, ob es überhaupt genug Impfstoff gäbe und wie gut er vor der neuen Omikron-Variante schützt: Da es nicht um einen Impfzwang geht, sondern um eine -pflicht, sind die Durchsetzungsmittel sehr begrenzt. Bei Missachtung könnten lediglich Bußgelder verhängt werden. Das hätte auf die Pandemie aber gar keinen Einfluss. Und hartnäckige Verweigerer erreicht man damit auch nicht.
Blieben also nur die Menschen übrig, die aus Angst vor Strafen doch zum Arzt gingen. Also die, die bislang zu bequem waren oder auf Repressionen reagieren. Aber kann man die nicht auch anders erreichen? Sind hier wirklich alle Mittel ausgeschöpft, so dass der Staat zur Ultima Ratio greifen muss? Ich glaube: nein.
Sprechen wir sie persönlich an, vereinbaren wir Impftermine ohne Warteschlange für sie, schicken wir ihnen von mir aus noch Taxi-Gutscheine zu oder erhöhen die Krankenkassenbeiträge für Ungeimpfte. Alles wäre besser, als dass der Staat in dieser intimen, sensiblen Frage Zwang ausübt – und sein Versprechen bricht.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nein zur Impfpflicht
Martin Geiger über eine allgemeine Impfpflicht