Ein Ballettchef, der das Gesicht einer Journalistin mit dem Kot seines Dackels beschmiert, ist untragbar. Schön, dass auch das Staatstheater Hannover zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Würde man als freier Kritiker zu solchen Mitteln greifen, im konkreten Fall zu Hunde-Exkrementen, würde man niemehr zum journalistischen Einsatz kommen, nirgends. Als Redakteur wäre bei jeder Zeitung, bei jeglichem Medium im Angestelltenverhältnis eine fristlose Kündigung zwingend und unvermeidlich. Das gilt übrigens für jeden Beruf. Man wäre unternehmerisch untragbar, müsste sich zudem etwa für Rufschädigung verantworten. Gerade deshalb wurde diese Debatte zunehmend unerträglich, wo die Sache eigentlich glasklar ist: Es hätte maximal eine Stunde dauern dürfen, bis Herr Goecke Kollegin Hüster uneingeschränkt ohne jegliches „wenn und aber“ und „einerseits, andererseits“ um Entschuldigung bittet. Alles andere ist zeitlich und argumentativ unvertretbar, auch vonseiten des Staatstheaters Hannover, das sogar jetzt noch – weiter hinten in den langen Stellungnahmen – Lieder auf die sensible Künstlerseele Goeckes singt. Auch die Umwandlung in eine einvernehmliche Vertragsauflösung bleibt ein kurioses Gnadengeschenk unter Kunstfreunden.
Herr Goecke hat wohl weniger aus Affekt, wohl aber mit mitgeführtem Kot und somit auch mit gewissem Vorsatz ein Tabu gebrochen – und kulturpolitischen Selbstmord begangen, dessen Folgen er zu tragen hat. Es gibt keinerlei Rechtfertigung für ein solches Verhalten – ausgenommen Unzurechnungsfähigkeit aus medizinischen Gründen.
Den Schaden für seine von ihm abhängige Compagnie und sein Haus hat er dabei zu keinem Moment bedacht. Es ging nur um ihn. Das stellt seine Eignung als Führungskraft mit Personalverantwortung in Frage, ist verantwortungslos, auch gegenüber anderen Häusern und Compagnien, die zurzeit Goecke-Stücke zeigen. Am 15. April steht etwa eine mehrteilige Premiere am Nationaltheater Mannheim an. Sechs Tage konnte sich NTM-Tanzchef Stephan Thoss eine Haltung überlegen, bisher ergebnislos. Die Fakten schafft jetzt die Kritik: Aus Solidarität mit Kollegin Hüster werde ich als Kritiker und verantwortlicher Redakteur ausschließlich die nicht von Marco Goecke choreographierten Teile des Abends besuchen. Der Eiertanz und der gezogene künstlerische Sensibilitätsjoker sind eine Anmaßung sondersgleichen. Niemand muss sich Kot ins Gesicht schmieren lassen, auch nicht von renommierten Künstlern – noch nicht einmal Kritiker.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Hundekot-Affäre Marco Goecke und der Umgang mit ihm sind zunehmend unerträglich
Schlimmer als der Tabubruch selbst ist der Umgang damit, das darin zu Tage tretende Selbstverständnis des Kulturbetriebs: Halbgare Entschuldigung, verzögerte und zur einvernehmlichen Vertragsauflösung umgewandelte Kündigung