Mannheimer Morgen Plus-Artikel Klare Ansagen an Putin

Es gibt einen Mythos, den manche gerne bedienen: Wladimir Putin handele irrational, lautet er. Man wisse nicht, was er als Nächstes tue. Manche gehen noch weiter: Russlands Herrscher sei nicht nur irrational, sondern komplett irre. Ein Despot völlig außer Kontrolle. Und das auch noch mit Atomkoffer.

Das ist eine schöne Mär, eine feiste Legende – mit der sich vor allem eines rechtfertigen lässt: tatenloses Zuschauen, wie Putin die Ukraine mit einem Angriffskrieg überzieht. Putin ist kein Irrationaler. Schon gar kein Irrer. Er ist ein skrupelloser Herrscher, Gewalt ist Teil seiner Politik, mit der nun seine Truppen die unabhängige Ukraine besetzen und dabei offenbar auch nicht vor Folter und Kriegsverbrechen zurückschrecken. All das ist zerstörerisch, am Ende vielleicht sogar selbstzerstörerisch aus russischer Sicht. Aber es folgt einer Logik, der Logik von Putin.

Er hat sich innenpolitisch seit Jahren durch Repressionen ein System aufgebaut, das ihn trägt. Und in dem Widerstand lebensgefährlich sein kann. Außenpolitisch hat Russlands Präsident die Ukraine schon seit 2014 ins Visier genommen. Putin hat den Krieg lange vorbereitet, er hat Cyberattacken in den Tagen und Stunden vor dem Einmarsch durchführen lassen und so seine Armee im Feld flankiert.

Putin treibt seit vielen Jahren Spielchen mit Staaten wie Armenien, Serbien und anderen Ländern etwa in Zentralasien: Solidarität für sein neues Sowjetreich – und im Austausch billige Energie. Der russische Präsident sucht geschickt (mal mehr, mal weniger erfolgreich) nach mächtigen Verbündeten wie der Türkei oder China.

Wladimir Putin handelt nach einem autoritären Kalkül. Aber er hat sich verkalkuliert. In seiner Logik ist der Westen abhängig von russischer Energie. Putin rechnete nach seinem Einmarsch in die Ukraine mit vielem, aber nicht damit, dass nun langfristig das gasgierige Europa nach anderen Quellen für seinen industriellen Treibstoff sucht. Dass der Westen diese viel zu lange fahrlässig eingegangene Abhängigkeit durchbrechen will.

Putin hat auch nicht mit dieser Einheit des Westens gerechnet. Die USA, Deutschland, Polen und Frankreich liefern Waffen an die Ukraine, helfen humanitär. Staatschefs laufen regelmäßig in Kiew auf, zeigen Solidarität. Dieser Schulterschluss ist ein entscheidender Schachzug, um den Angriff des russischen Präsidenten abzuwehren.

Klare Worte, und ja, auch Drohungen sind die Sprache, die Putins Logik folgt. Und mit der er zurückgedrängt wird. Je mehr die russische Armee in der Ukraine ins Hintertreffen gerät, umso stärker muss Putin die Aussichtslosigkeit seines Krieges und die weltpolitische Isolation vor Augen geführt werden.

US-Präsident Joe Biden hat das nun vorgemacht: „Tun Sie es nicht. Tun Sie es nicht. Tun Sie es nicht.“ Das war seine beunruhigende, aber andererseits durchaus auch entschlossene Antwort auf die Frage eines Interviewers, welche Worte er an Putin im Falle eines Atomwaffeneinsatzes richten würde. Biden drohte Konsequenzen an, würde Putin diesen Krieg weiter eskalieren.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wird viel kritisiert, zu spät und zu vorsichtig unterstütze er die Ukraine. Fatal sei sein „Nein“ zur Lieferung von Kampfpanzern. Es gibt viele gute Gründe, weshalb die Ukraine diese Angriffspanzer genau jetzt benötigt.

Doch es gibt auch einen entscheidenden Grund, nicht zu liefern: Scholz will im Einklang mit den anderen westlichen Staaten handeln. Keine Alleingänge – das ist sein Motto. Das ist klug, denn es ist genau diese Allianz westlicher Entschlossenheit, die Putins Logik durchbricht.