Es ist erst ein paar Tage her, da geriet Deutschlands oberster Verfassungsschützer in die Kritik. Thomas Haldenwang, Chef des Bundesamts, sieht keinen Anlass, die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ zu beobachten. Es seien keine Extremisten. Haldenwang schwang nicht ein in den Kanon der Hardliner, die in den radikalen Klimaschützern angeblich eine neue „Klima-RAF“ aufkeimen sahen. Vielleicht auch, weil Haldenwang wusste, was am Mittwochmorgen passieren würde. Weil er wusste, wo die eigentliche Bedrohung für unsere Demokratie sitzt. Nicht auf dem Asphalt deutscher Großstädte.
3000 Polizistinnen und Polizisten durchsuchen am Mittwoch 130 Wohnungen, Büros, Lagerräume. Sie nehmen 25 Personen fest. Der Verdacht: die Gründung einer rechtsterroristischen Zelle. Mit unter den Beschuldigten: ein Adliger, eine AfD-Politikerin und Richterin, mehrere ehemalige und ein aktiver Bundeswehr-Soldat. Es ist eine Elite, die in Positionen ist oder war, die diesen Rechtsstaat stützen und verteidigen sollen.
Doch die Gruppe wollte nach Angaben der Ermittler das Gegenteil: den gewaltsamen Umsturz des Rechtsstaats und der Regierung in Berlin. Eine „Übergangsregierung“ sollte aufgebaut werden, militante „Heimatschutzkompanien“ sollten Widerstand gegen die „Revolution“ ausschalten. Politische Morde kalkulierte die Gruppe laut Staatsanwaltschaft ein.
Die Razzia ist brisant: Sie zeigt, dass rechter Terror längst nicht mehr im Gewand von glatzköpfigen Springerstiefel-Trägern daherkommt wie noch der Kern des selbst ernannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“, des NSU. Gewalt als Mittel zur Durchsetzung extrem rechter Ideologie lässt sich nicht an sozialen Schichten, an Einkommen und regionaler Herkunft festmachen. In radikalen Szenen verkehren längst auch Menschen mit bürgerlicher Karriere, Juristen, Polizisten, Bundeswehr-Soldaten.
Selbstverständlich sind nur in einem Teil der Behörden und der Bundeswehr rechte Einstellungen zu finden. Doch die vielen Ermittlungen der vergangenen Jahre zeigen: Es sind nicht nur Einzelfälle.
Die rechtsextreme Szene heute ist vielschichtig, zersplittert. Es gibt Neonazi-Kameradschaften, es gibt Parteien wie die NPD. Doch an Bedeutung gewachsen ist die Ideologie der sogenannten QAnon-Verschwörer und der selbst ernannten „Reichsbürger“. Sie erkennen die Bundesrepublik als Staat nicht an, schwadronieren von einer „Firma“, die Deutschland steuere, wollen die Grenzen des „Deutschen Reiches“ zurück.
Das als „Spinnerei“ abzutun, ist gefährlich. Die Szene ist vernetzt, viele dort verfügen über Waffenscheine – und über Waffen. Es gab schon Tote, 2016 starb ein Polizist bei einem Einsatz bei einem „Reichsbürger“ durch dessen Schüsse.
Die Corona-Pandemie hat die Szene radikalisiert. Und sie hat sich stärker vernetzt, auf der Straße bei den sogenannten Montagsdemonstrationen, aber auch in Netzwerken wie Telegram.
Noch ist unklar, ob die aktuell Festgenommenen der mutmaßlichen Terrorzelle bereits Waffen gehortet haben und wie konkret die Pläne etwa für einen Angriff auf den Bundestag waren. Und doch ist es richtig, dass die Polizei und der Nachrichtendienst hier wachsam sind, nicht zögern, sondern hinschauen. Soldaten und Polizisten waren zuletzt mehrfach unter den Tatverdächtigen. Die Sicherheitsbehörden sind in einer Bringschuld – sie zeigen durch solche Razzien, dass sie nicht blind sind auf dem rechten Auge.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/meinung/kommentare_artikel,-kommentar-keine-einzelfaelle-_arid,2027540.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Keine Einzelfälle
Kommentator Christian Unger ist überzeugt, dass nicht nur Neonazis gewaltbereit sind - vielmehr formiere sich eine neue Front