Kommentar Julian Nagelsmann ist als Trainer gereift

Das 5:0 gegen Ungarn zeigt, dass Bundestrainer Julian Nagelsmann für einen ungewohnten Pragmatismus steht. Das ist neu bei ihm, meint Marc Stevermüer

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Marc Stevermüer
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Mannheim. Die Vergleiche mit dem Fußball-Jahr 2006 wurden zuletzt ein wenig überstrapaziert. Damals eine Heim-WM, diesmal eine Heim-EM. Das Sommermärchen sollte einfach wiederholt werden. Was von vornherein unmöglich war. Denn jedes Turnier schreibt seine eigene Geschichte.

Genau das gelang dem EM-Gastgeber und der deutschen Nationalmannschaft dann auch in diesem Sommer. Und trotzdem sei eine wirklich allerletzte Erinnerung an das Turnier 2006 erlaubt. Auch vor 18 Jahren reichte es zwar nicht zum Titel, aber der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gelang es, nach bleiernen Jahren eine neue Begeisterung rund um das Team zu entfachen. So wie jetzt. Knapp 50 000 Zuschauer kamen am Samstag ins ausverkaufte Düsseldorfer Stadion zum Spiel gegen Ungarn. Es ist nicht allzu lange her, da blieb der DFB auf mehreren Tausend Tickets sitzen.

Nagelsmann hat sich als Trainer entwickelt

Es beginnt also ein neues Zeitalter. Auch für den Bundestrainer Julian Nagelsmann, der bei seiner Amtsübernahme kurz vor einer Heim-EM stand. Nun ist es bis zur WM 2026 aber noch eine ganze Weile hin. Es geht um ein Ziel in weiter Ferne, was theoretisch ein paar Möglichkeiten für mehr oder weniger extreme Experimente bietet. Genau genommen aber eben auch nicht allzu viele.

Nur etwa 20 Spiele und 40 Trainingseinheiten stehen für die DFB-Elf an, ehe die WM beginnt, rechnete Nagelsmanns bereits vor. Das klingt dann schon nicht mehr nach einer langen Turnier-Vorbereitung, weshalb der 37-Jährige ankündigte, auf wilde taktische und personelle Fantasien verzichten zu wollen. Das war unter seinen Vorgängern Hansi Flick und Joachim Löw noch ganz anders.

Zwar ist der Bundestrainer auf der einen oder anderen Position gezwungen, Veränderungen herbeizuführen. Mit Manuel Neuer, Toni Kroos und Ilkay Gündogan verlor das DFB-Team nach der EM schließlich drei absolute Leistungsträger. Doch die Aufstellung gegen Ungarn ließ schon erahnen, wie Nagelsmann diese Herausforderung meistern möchte. Marc-André ter Stegen, Pascal Groß und Niclas Füllkrug rückten in die erste Elf. Jeweils als logische Lösung.

Der Bundestrainer arbeitet also bereits wieder im Turniermodus, er sieht sich weiterhin als Projektleiter. Ihm geht es darum, klare Rollen zu definieren, eine Stammformation zu finden, Strukturen und Hierarchien zu festigen. Er bleibt also seinem ausgesprochen sachlichen Ansatz treu, was ihm sehr hoch angerechnet werden muss. Denn wer Nagelsmann aus seiner Bundesligazeit in Hoffenheim, Leipzig und München nur ein bisschen kennt, der weiß um seine ausgeprägte kreative Ader, seinen schier unendlichen Ideen- und Variantenreichtum. Ihn reizt normalerweise nicht nur das Risiko, er geht es auch bewusst ein.

Wenn man so will, hat dieses DFB-Amt also auch den Trainer Nagelsmann reifen lassen. Er setzt auf Bewährtes, agiert mit viel Vernunft und weniger Fantasie. Mit Blick auf die Weltmeisterschaft sind das nicht die schlechtesten Aussichten.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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