Kommentare In Berlin ist es Zeit für einen Neuanfang

Die Antwort auf Daniel Barenboims Rückzug als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden kann nicht Christian Thielemann heißen. Thielemann ist repertoiretechnisch zu eingeschränkt - ein Neuanfang wäre die bessere Lösung

Veröffentlicht
Kommentar von
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer

Berlins Kultursenator Klaus Lederer ist jetzt wirklich nicht zu beneiden. Die Nachfolge von Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper zu organisieren, ist etwa so kompliziert, wie im Vatikan einen neuen Papst zu wählen – nur ohne Wahl. Barenboim ist – man kann es durchaus so nennen – das letzte Exemplar einer Riege genialer Interpreten, die noch vor dem oder während des Zweiten Weltkriegs geboren wurden und schon zu Lebzeiten zur Legende wurden. Die meisten seiner Weggefährten sind tot. Das einstige Wunderkind Barenboim ist – zumal mit seiner Doppelbegabung als Pianist und Dirigent – ein schillernder Solitär am Sternenhimmel der Klassik, der sich zudem seit langem für die Verständigung zwischen Israelis und Palästinenser einsetzt und erst zuletzt ein paar Kratzer im Lack bekam, als ihm allzu patriarchale Machtstrukturen vorgeworfen worden sind – tatsächlich wurde staatsopernintern, aber anonym von psychischen und physischen Übergriffen Barenboims gesprochen und einer „Atmosphäre der Angst“.

Mehr zum Thema

Klassik

Staatsoper auf der Suche

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Was tun? Christian Thielemann wäre eine Lösung. Ja. Dagegen spricht jedoch schwer sein schieres Gefangensein in der deutsch-österreichischen Musik – von Beethoven über Wagner bis Bruckner und Strauss. Oper ist nun mal – selbst in Deutschland – immer noch vor allem eine italienische Angelegenheit.

Im Grunde wäre es Zeit für einen Neuanfang Unter den Linden. Kultursenator Lederer, dem chronisch klammen Berlin und der Oper wäre zu wünschen, das stolze Haus in der Hauptstadt mit Mut und ruhiger Hand in eine neue, unverbrauchte Ära zu leiten – vielleicht mit einem Dirigenten (oder einer Dirigentin?), die noch nicht den Ruf eines Barenboim, Thielemann, Muti oder Chailly hat, dafür aber für einen ganz neuen Kulturbegriff steht.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.