Kommentar Flick geht als DFB-Trainer: Zeit verschenkt

Mit der Entlassung von Bundestrainer Hansi Flick hat der Deutsche Fußball-Bund eine wichtige Entscheidung viel zu spät getroffen. Die Trennung vom einstigen Hoffnungsträger aus Bammental war längst überfällig.

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Marc Stevermüer
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In welcher Parallelwelt die Verantwortlichen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) leben, wurde schon vor der peinlichen 1:4-Blamage der Nationalmannschaft gegen Japan deutlich. Denn seit wenigen Tagen ist die Dokumentation über die völlig verkorkste Weltmeisterschaft in Katar zu sehen.

Das Werk beinhaltet entlarvendes Material, das nicht unbedingt tiefe Einblicke gewährt, sehr wohl aber eindeutige Beweise für das extrem angespannte Verhältnis zwischen Bundestrainer Hansi Flick und der Mannschaft liefert. Woraus sich eine ganz entscheidende Frage ergibt: Warum wurde der Bammentaler nicht schon nach dem Desaster von Doha entlassen, sondern erst jetzt? Die Antwort ist einfach: Weil der DFB ein hilfloser Krisen-Verband ist, der schwierige Entscheidungen scheut und nun zu verantworten hat, dass nach der Weltmeisterschaft wertvolle Zeit mit Blick auf die Heim-EM 2024 im nächsten Jahr verschenkt wurde.

Ein Team ohne Gerüst

Flick bekam nach dem historischen WM-Fiasko eine zweite Chance. Nach den katastrophalen Länderspielen im Juni unverständlicherweise sogar eine dritte. Warum? Es gab kein einziges Argument für einen Verbleib. Denn neben den Ergebnissen war auch seine Trainerleistung überschaubar bis schlecht. Dem Team fehlt ein Gerüst. Es wurde probiert und experimentiert, die Mannschaft verkam zum Versuchslabor - bis dem Trainer alles um die Ohren flog. Spieler wurden hin- und hergeschoben, mal nominiert und dann wieder nicht oder öffentlich abgekanzelt. Man denke nur an Niklas Süle und Leon Goretzka. Zuletzt wusste keiner mehr, woran er ist.

Man mag in der Vergangenheit darüber geschmunzelt haben, dass Flicks Vorgänger Joachim Löw immer wieder Lukas Podolski nominierte. Beim Weltmeistertrainer kannte aber wenigsten jeder seine Rolle.

Neun Monate vor der Heim-EM hat der DFB nun endlich gehandelt. Die Trennung von Flick ist richtig und alternativlos, sie kommt allerdings viel zu spät. Weshalb die Misere mit dieser Personalie allein nicht behoben ist. Der ganze Verband muss sich neu aufstellen, es braucht starke und auch manchmal unbequeme Führungspersönlichkeiten wie beispielsweise Matthias Sammer.

Schwache DFB-Spitze

Mit Rudi Völler gibt es momentan einen Sportdirektor, der diesen Job ganz bewusst als eine Art Grüß- und Gute-Laune-Onkel interpretiert. Das ist auch nicht schlimm, weil er das von Beginn an deutlich gemacht hat und sowieso nach der Heim-EM ausscheidet. DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke ist zusätzlich Geschäftsführer von Borussia Dortmund und Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Fußballliga. Er hat also andere Dinge zu erledigen. Und beim blassen Präsidenten Bernd Neuendorf bleibt seit seiner Amtsübernahme im März 2022 bislang als einziger Akzent das Chaos rund um die „One-Love“-Binde in Erinnerung.

Der Verbandsboss muss den DFB nun durch die größte Krise seiner Geschichte führen. Und genau daran wird man ihn auch messen. Möglicherweise ist es sogar sinnvoll, schon jetzt den Nachfolger von Völler zu installieren. Es darf keine Tabus mehr geben. Denkverbote gab es zuletzt viel zu viele. Vor allem in der Trainerfrage.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft