Kommentar Die Europawahl ist ein Frust-Signal in Richtung Berlin

Die Ampel erlebt ein Desaster, die AfD wächst und wächst. Die Europawahl ist ein innenpolitisches Beben. Schade, dass die gute Wahlbeteiligung nichts mit EU-Begeisterung zu tun hat, kommentiert "MM"-Chefredakteur Karsten Kammholz

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Karsten Kammholz
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Mannheim. Gemeinhin gilt eine Kommunalwahl als Demokratie im Kleinen und die Europawahl als Demokratie im Großen. Beide Zuschreibungen sind falsch. Fangen wir mit Europa an: Selten fühlte sich Brüssel derart fern an wie in den zurückliegenden Wochen, in denen so etwas wie elektrisierender Wahlkampf kaum wahrzunehmen war.

Die Parolen oft einsilbig wie austauschbar: für Wohlstand, gegen Hass, für Freiheit, gegen Putin. Selbst der deutschen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelang es nicht, Europa-Begeisterung zu wecken. Sie bemühte sich auch nicht. Die CDU-Politikerin steht auf keinem Wahlzettel, da sie selbst nicht fürs Europaparlament kandidiert. Aber den wichtigsten Job in Brüssel will sie weiter haben. Das muss man alles nicht verstehen.

Ergebnis ist ein innenpolitisches Beben, kein europäisches Signal

Die gute Wahlbeteiligung kann daher nur andere Gründe haben, und die liegen in Berlin. Es scheint so, als hätten die Wähler der Bundesregierung ihren Frust zeigen wollen: CDU/CSU landen weit vorn, SPD und Grüne erleben ein Desaster, die FDP schwächelt weiter. Die AfD wächst und wächst, und mit BSW steht ein neuer Akteur auf dem politischen Spielfeld. Dieses Ergebnis ist ein innenpolitisches Beben, kein europäisches Signal.

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In Brüssel werden die Christdemokraten nun versuchen, von der Leyen im Amt zu halten. Doch in der europäischen Hauptstadt zählen noch andere Machtfaktoren als Wahlergebnisse. So groß diese Wahl in Summe gewesen sein mag, der europäische Bürger als Souverän spielt in Brüssel eine vergleichsweise kleine Rolle.

Mannheimer haben unter dem Eindruck des Marktplatz-Attentats gewählt

Ganz anders die Wirkung der Kommunalwahl, politisch und haptisch. Allein der Wahlzettel, der tatsächlich ein Wahlblock war, stellte nicht wenige Bürger angesichts von 48 Stimmen vor intellektuelle Herausforderungen. Kein Wunder, dass die Auszählung Zeit braucht. Die Mannheimer haben unter dem Eindruck des Marktplatz-Attentats gewählt. Wie sehr das schreckliche Ereignis Einfluss auf die künftigen Fraktionsstärken nimmt, gehört zu den spannendsten Fragen der nächsten 24 Stunden.

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